Jeden Morgen das gleiche Ritual: Beim Fenster rausblicken - wie ist das Wetter? Heute war das nicht nötig. Schon des nächtens war das Rauschen des Regens zu hören. Nur die herumkriechenden Wolkenschwaden (Karres liegt auf 830m) waren von meinem Fenster zu sehen. Was für ein Tag!? Ein untrügliches Zeichen wie das Wetter ist und wird, habe ich jetzt schon zwei Wochen beim Frühstück beobachten können. Ich brauche nur die Anzahl der Fiegen zählen und weiß wie die Wetterlage ist und wird.
Weniger als 3 Fliegen: Es wird ein schöner Tag.
Bis 5 Fliegen: Nicht schlecht und ich kann zufrieden sein.
Bis 8 Fliegen: das wird nicht das Gelbe vom Ei. Zittern ob etwaiger Regenschauer ist angesagt.
Ab 9 Fliegen: es wird ein staubfreier Tag und mein Regenverhüterli läßt mich sicher schwitzen.
Heute waren es ca. 15 Fliegen, die mich beim Frühstück terrorisiert haben! Ich musste sogar aufpassen, dass ich beim Abbeissen der Semmel, nicht einen ungewollten Proteinhappen mitschlucke.
Und dabei habe ich eine gültige Vereinbarung mit den Himmelsmächten. Aber die wurde anscheinend wegen anderer Prioritäten ausser Kraft gesetzt.
Das kommt mir vor wie in meiner Ex-Firma. Da gibt es ein Top-Projekt (=Jakobsweg). Der Leistungsumfang wird fixiert (=zu Fuß nach SdC). Der Terminplan mit Meilensteinen wird festgeschrieben (=Etappenplan) und jede Verzögerung muss mit roter Ampel gemeldet werden. Und der Endtermin wird unverrückbar in Stein gemeiselt (=Rückflug). Und dann läuft das PJ. Alle geben ihr Bestes und arbeiten nur für das Gelingen des Projektes.
Doch dann: Es ändern sich die Rahmenbedingungen und es wird schwierig das PJ plangemäß umzusetzen. Anfangs gibt es noch mehr oder minder wohlwollende Unterstützung von oben, aber dann treten größere Probleme auf. Konferenzen werden einberufen, Spezialistenteams tagen und Jour Fixes werden gebildet. Ergebnis: Alle Eckpunkte bleiben gleich, es muss nur mit gleichen Ressourcen eine erschwerte Sachlage bewältigt werden. Natürlich muss alles "in time und budget" bleiben. Über eine Veränderung des Endtermins gibt es sowieso keine Diskussion. So sieht es das Management und verspricht "natürlich Unterstützung".
So weit so gut, ich tue was ich kann. Aber der rauschende Regen, der behindert mein Projekt. melde ich zurück. Die Antwort vom (Himmels)Management: Wir haben ein anderes, total wichtiges PJ hereinbekommen (=die Natur mit Wasser zu versorgen) und deswegen gelten neue Prioritäten und wir können vorerst keine weitere Unterstützung gewähren. Aber einen Lösungsvorschlag bekomme ich doch: Warte einfach ein wenig und gehe dann schneller. Überstunden, wenn sie nichts kosten, werden akzeptiert und wenn die gesetzlichen Auflagen (Arbeitszeit max. 10 Std.) nicht verletzt werden. Und so werde ich im Regen stehen gelassen - im wahrsten Sinne des Wortes.
Nachsatz: Jede Ähnlicheit mit Firmen oder Projekten ist rein absichtlich :-)
Meinen heutigen Projekttag lasse ich auf Grund der Wetterlage erst um 9h beginnen. Ich lasse mir einfach Zeit und genieße das Frühstück ausgiebig und lese die Tageszeitung. Ein späteres Weggehren läßt sich heute leichter bewerkstelligen, weil die heutige Etappe um 4 Km kürzer als geplant ist. Schließlich habe ich mir gestern diesen Weg/Zeitpolster erarbeitet und es sind heute nur 23 Km.
Um 9h regnet es zwar noch immer, aber nicht mehr so stark. Ich gehe mit übergezogenen Regenschutz los. Der Weg geht leicht bergab und ich bin richtig gut drauf. Ich bin auch bester Laune und singe alle möglichen Melodien (nur mit Textfragmenten) vor mir her. Ich kann das auch laut tun, denn ich bin alleine.
Zügig geht es dann den Innradweg, der recht viel von Radtouristen genutzt wird, dahin. Ich bleibe, auch wenn es einen eigenen JW gibt, immer am Radweg bis Zams (19 Km). Da gibt es kein Verlaufen und auch keine Schlechtwegestrecken, was an einem Regentag praktisch ist.
Nach einer Stunde (5 Km) hört es dann zu regnen auf und es bleibt fast drei Stunden trocken. Danke ihr Himmelsmächte.
Wie schon am Ende des gestrigen Tages, ändert sich nun die Landschaft des Inntales. Nun rücken die Berge und Felsen immer mehr zusammen und es bleibt oft nur Platz für den Inn, die Autobahn, die öfters in Tunnels verschwindet und für die Eisenbahn und meinem Radweg. Somit ist auch die Besiedelung spärlich geworden. Ein starker Kontrast zum Inntal davor, mit seinem breiten und flachen Talboden.
Eine interessante Sehenswürdigkeit kann ich direkt neben dem Radweg ausmachen. Ein in Fels gehauener und geschliffener Karrenweg aus der Römerzeit mit der Spurweite 107 cm. Es wirkt eigenartig an, daran zu denken, dass im Mittelalter genau hier auch die Pilger marschiert sind. Wie gut sind heute die Wege und sicher die ganze Infrastruktur und Ausrüstung. Das macht nachdenklich.
Am Radweg kommen mir immer wieder Tourenfahrer entgegen. In meine Richtung bin ich aber allein. Außer den vielen Weinbergschnecken. Wir haben ein ähnliches Schicksal. So wie diese Schnecken langsam ihren Weg kriechen, so muss mein Weg langsam auf einer Europa- oder Satellitenkarte zu sehen sein.
Ich glaube, es waren auch einige Pilgerschnecken dabei. Sie haben es aber besser, denn sie haben ihr Quartier, ihr Haus, immer mit. Ich muss es mir immer suchen - siehe später.
Wir schneckenhaften Pilger fotografieren uns noch (siehe heutiges Foto) und wünschen uns wie es unter Pilgern üblich ist: "Buon camino!"
Um die spätere Mittagszeit, in Zams, beginnt es wieder etwas zu regnen und ich suche ein Lokal zum Unterstehen, Ausrasten und zum Essen - länger hält ein ausgiebiges Frühstück nicht. Wie gerufen, sehe ich ganz in der Nähe einen XXXLutz. Da gibt es am WE immer billige Speisenangebote. So marschiere ich mit voller Ausrüstung ins Möbelhaus ein und stürme in den 1. Stock ins Restaurant. Dabei muss ich nur aufpassen, dass ich mit meinem Rucksackungetüm mit eingeklemmter Regenhaut, nicht wie ein Elefant im Porzellanladen durch die Haushaltsabteilung gehe. Sonst bin ich dort ein begafftes Unikat zwischen den vielen Einkaufsbummlern, darunter auch Italiener. Im Restaurant ist die Hölle los, aber ich finde in einer Ecke den einzigen freien Tisch, ein passender Zweiertisch für meinen Rucksack und mich - danke Jakobus fürs reservieren.
Wie vermutet gab es alle Schnitzeln um nur 3,90 Euro. Ich habe mir das Riesenwiener mit 300 Gramm gegönnt und es hat geschmeckt. Nur wie man so ein Schnitzel ohne die 19 Km Gehweg verdrücken kann, ist mir schleierhaft. Und dabei ist jede zweite ausgetragene Speise so ein Riesenwiener. Und dann werden noch die Angebotstorten verdrückt. Ich würde zur Zeit keine schaffen.
In der schnitzelgeschwängerten Luft fällt sich auf, dass ich heimlich unter Tisch meinen Füßen Erleichterung verschaffe. Das brauche ich, damit ich schmerzfrei wieder ein paar Km gehen kann.
Eine halbe Stunde später bin ich wieder am Weg und es hat fast zu regnen aufgehört und etwas später dann ganz.
Ab Zams/Langeck wird die Landschaft älplerisch. Nun geht es bergauf und wie! Nach Stanz hinauf geht es fast 300 sehr steil einen Steig hoch - ähnlich dem Jägersteig vom Gößgraben auf die Mugel. Da wird das Schnaufen und Schwitzen arg. Fast oben angekommen geht der Steig in einen Wiesenweg über. Ihr habt es sicher geahnt, es ist ein ungemähter Weg und gleich ist die Hose bis zu den Hüften klatschnass.
An den Hängen sind große Zwetschkenbaumkulturen. Hmm, das muss einen guten Schnaps geben. Aber die Schnapsphantasien verflogen gleich, denn es begann wieder zu regnen und weiter vorne kam eine weiße Regenwand heraus. Ich beschleunigte meinen Schritt und versuchte den rettenden Ort Stanz zu erreichen. Ich wollte eigentlich noch bis zum nächsten Ort Grins weitergehen um morgen nach St. Anton ein paar Km ersparen zu können. Aber der Regenschwall war schneller und selbst der Regenschutz half nicht viel. Es brauchte noch ein paar Minuten, bis ich einen rettenden Unterstand fand. Wo kriege ich in dem kleinen Ort ein Quartier her? Meine Zimmerliste war leider auch keine Hilfe. Wenn ein Auto vorbeifuhr wagte ich mich in den Regen hinaus und fragte die Lenker um ein Quartier. Erst beim 5. Autofahrer hatte ich Erfolg. Er wies mich an zu warten und fuhr zur Zimmersuche weiter - er wisse was. Nach ein paar Minuten kam er wieder und ich zwängte mich in seinen Geländewagen. Er brachte mich bis zum Quartier und mahnte mich morgen die 300m wieder zurück zu gehen, damit ich beim Gehen nicht schwindle :-)
Die Zimmervermittlerin ist sehr fürsorglich und ich habe auch ein paar Frankfurter zum Abenessen bekommen.
So war der heutige Regentag. Von den Bergen schaut der Schnee herunter und übermorgen muss ich in diese Höhen gehen. Wir werden sehen. Ich bin optimistisch und halte mich an den Spruch: "Es geht, wenn man geht."
Ich grüße Euch
Pilger Walter
Lieber Pilger Walter, hoffentlich hast du die Tourenschi ordentlich gewachst - so wie du es schreibst wirst sie brauchen. Laut Prognose wirst leider auch morgen zum Frühstück mehr als 15 Fliegen als Gäste haben - aber ab Dienstag werden diese zur Gänze verschwinden, so wie deine Regenhaut. Wir waren gerade mit unseren wunderschönen, sonnigen Toskana-Fotos beschäftigt, nachdem der Regen an die Fenster klatscht dachten wir an dich. Danke für den heutigen Bericht und - dein Schlußsatz hat uns schon am Foto besonders gefallen "Es geht, wenn man geht". Liebe Grüsse, gute Nacht und einen trockenen morgigen Tag. Liebe Grüsse Ingrid und Werner. PS: Morgen sind wir in der Gösser Kirche zur Hochzeitsjubiläumsfeier eingeladen und dann gehen wir zum Pfarrfest nach St. Xaver und werden auf dein Wohl ein Glas trinken!!
AntwortenLöschen