Dienstag, 20. September 2011

Endspurt

Liebe Freunde!

Ja, Ihr habt richtig gelesen. Der Titel des heutigen Tagebucheintrages heißt ENDSPURT. Für mich, der nun schon 2.660Km in den Beinen hat, ist der 100Km-Stein, den ich vor einigen hundert Metern passiert habe, die Aufforderung den Endspurt zu beginnen. Dort wo viele Spanier erst mit dem Gehen am JW beginnen, also 100Km vor SdC, um die begehrte Compostella zu bekommen, die Urkunde, dass man Jakobspilger ist. Ein Viertel aller Jakobspilger bekommt die Compostella nur für diese letzten 100Km und garantiert nochmals ein Viertel der Pilger hat erst in den letzten 100Km begonnen. Damit könnt ihr Euch vielleicht vorstellen, was nun am JW los ist.

Heute am Morgen gehe ich nach 1/2 8 weg und es war noch fast ganz finster und wie es der Teufel will, übersehe ich eine Markierung und mache einige nutzlose Meter. Zum Glück merke ich meinen Fehler bald und es geht zurück und vorbei an x verdutzten Pilgern, die mir gefolgt sind.
Der Weg, den ich zuerst eingeschlagen habe, führt über Samos mit einem interessanten Klosterbau und einer alten Kirche, aber der Weg ist etwa 7Km weiter und da sagen der Hl. Jakobus und der Pilger Walter unisono "Nein". Alles was besichtigungswert ist, aber die Strecke über San Xil ist dafür landschaftlich schöner und viel kürzer.

Natürlich hat die kurze Strecke noch einen Nachteil. Es laufen hier hunderte Pilger. Die ersten 2 Stunden oder 10Km gehen ohne Übertreibung alle 100m 2-3 "Pilger". Kaum habe ich die einen überholt, laufe ich auf die nächsten auf. Es war ein ständiges Grüßen, dass mir aber Spaß macht, weil ich einige praktisch am Weg stehen lasse, besonders bei den Bergaufstrecken.

Wieder sind es Dänen, die mich, nach ein paar Worten, herausfordern einen ordentlichen Jucherzer und sowas ähnliches wie einen Jodler von mir zu geben. Ich mache es von Herzen gerne und denke mir dabei, Jakobus ich komme!
Ich grüße grundsätzlich jeden am Weg, die Einheimischen aus Respekt als Gast hier in dem Land und die Pilgersleute, die mit mir unterwegs sind, und grüße dabei mit fröhlichem Gesicht. Von den Einheimischen bekomme ich sehr oft freundliche Antworten. Nicht so von den Pilgern. Manche gehen so verkniffen und freudlos den Weg, dass ich meine, es muss für sie eine Strafe sein den JW zu gehen. Es kommt auch vor, dass ich keine Antwort erhalte, so wie heute. Auf mein freundliches "Buenos dias" und dem "Buen camino" bekomme ich nichts zurück. Aber nicht mit mir: mit einem steirischen "Buenos dias, hob i g'sogt" (... habe ich gesagt), lasse ich mit lauter Stimme nicht locker. Da kommt brummend von der Dame etwas ähnliches zurück. Ich aber gehe lachend weiter.

Der heutige Gehtag war ein ständiges bergauf und bergab. Zuerst ging es aber einmal kräftig nach oben.
Der Morgen war sehr kühl, aber nach 2-3Km war mir warm genug, um nur im Leibchen aufzusteigen. Dann war die Anhöhe erreicht und es war auf einmal, als habe man eine Backofentüre offen gelassen. Diese warme Strömung erzeugte die aufgehende Sonne und durch die Sträucher wehte nun ein warmer Wind.
Hier oben war es wunderschön und in den Tälern konnte man die Nebelseen erkennen.
Bei den flach einfallenden Sonnenstrahlen sieht man bei den Vorangehenden oft kleine Staubwolken aufwirbeln, den jeder Tritt auf die zentimeterdicke Staubschicht am JW verursacht.
Der Abstieg Richtung Sarria war wieder einmal schwierig und ich war froh, hier nicht bei Regen gehen zu müssen. Über felsige alte Römerwege, wo noch die Karrenspuren zu erkennen waren, musste man hinunterturnen.

Mitten durch einen Hohlweg gehe ich unter einer Eiche durch. Auf einmal fällt mir eine große reife und harte Eichel mitten auf den Kopf. Das tat weh! Zuerst dachte ich, jemand hat einen Stein auf mich geworfen.
Jetzt weiß ich woher der Spruch kommt: "Vor Eichen sollst du weichen und Buchen sollst du suchen", denn gegen Blitze ist er Spruch unwirksam.
Zum Glück hat mich noch keiner der vielen Kastanienbäume beschossen, den deren spitze Früchte liegen auch schon am Weg herum.

In Sarria habe ich eine gute Idee. Ich besuche die örtliche Information und werde fündig. Hier bekomme ich schon den Stadtplan und die Hotelliste von SdC. Da kann ich mich vorbereiten und mir ein passendes Quartier aussuchen. Als Draufgabe reserviert mir die nette Frau bei der Info für heute eine Schlafgelegenheit in einer guten und günstig beschriebenen Miniherberge mit DZ. Somit kann ich den Rest des Tages gemütlich angehen.
Nach einer Mittagsrast und Jause besuche ich die Kirche von Sarria und dann noch das Convento de la Merced des Malteser Ordens. Hier kann man frei eintreten und findet einen prachtvollen Kreuzgang vor und auch die Kirche beeindruckt.
In einer großen Halle findet in Sarria gerade ein Viehmarkt statt, so wie bei uns in der Oberlandhalle, und zugleich ist rund um die Halle ein Markttag, wo die Bauern ihre Produkte feilbieten.

Für heute hatte ich als Ziel den Ort Ferreiros vorgesehen, aber in der Vorbereitung sah ich schon, dass es dort für mich kaum ein Zimmer geben wird und so habe ich 2Km vorher in einer Miniherberge in einem kleinen Nest, Morgade, mir ein Zimmer genommen. Hier ist es günstig und ich habe mein Zimmer. Für heute waren 32,5Km zu gehen und das oft auf und ab.
Morgen kann es auch nocheinmal kritisch werden, ein Zimmer zu finden. Unter Umständen erfordert es ein ordentliches Weitermarschieren.

Gestern, rückblickend gesehen, in Triacastela, war ich am Abend noch bei einer besonderen Pilgermesse. Ich hatte in einer Info davon gelesen, dass der Pfarrer Augusto diese Messen ganz besonders gestaltet. Jeder der Pilger bekommt einen sehr guten 3-seitigen Text über die Beweggründe für den JW und was er sein soll, in seiner eigenen Sprache und der charismatische Pfarrer hat die Texte in 25 Sprachen vorrätig. Genauso bezieht er die verschiedenen Nationen mit den unterschiedlichen Sprachen in die Messe mit ein. Die Lesung und den Pilgersegen wird in allen anwesenden Sprachen von den Pilgern gelesen - ich habe es für Deutsch gemacht.
Auch die Messe läuft ganz anders und viel lockerer ab. Bis zum Kyrie fordete er auf, sitzen zu bleiben, denn die Pilgerfüße sind genug gefordert. Statt der Predigt sollte jeder Messbesucher den verteilten Text mit Gedanken über den JW für sich lesen. Beim Friedensgruß lehnte er das übliche Handshake ab, dass etwas für Politiker ist. Die Gottesdienstbesucher sollen sich dafür umarmen und sich Freundschaftsküsse geben.
Schade war, dass ich von seinen spanischen Worten und es waren viele, nichts verstand, aber die anwesenden Spanier lachten viel.
Den Text, der auch für mich noch gute Gründe für den JW und Gedanken zum Nachdenken enthält, möchte ich nach Spanien als eigenen Post für mein Tagebuch abtippen, dann könnt Ihr Euch damit auseinander setzen. Der Text macht eine weite Umarmung aller Beweggründe und Menschen, geht aber dann immer auf das Wesentliche, den Glauben und Jesus Christus, hin.
Es war eine ganz besondere Messe, die die Menschen ansprach und diese Form ist am JW anscheinend schon bekannt, denn die kleine Kirche war voll von Pilgern.

Nun sind es nur mehr 4 Gehtage und knapp 100Km zu zum Gehen. Das ist etwas was den Pilger Walter sehr erfreut.
Ich grüße Euch,
Euer Pilger Walter

3 Kommentare:

  1. Nur mehr 4x schlafen gehen....
    Es muss ein erhebendes Gefühl für dich gewesen sein, am 100km Stein vorbeizupilgern und vermutlich auch amüsant zu beobachten, wie die "Frischlinge" die Bergaufstrecken hinaufkeuchten und von dir, der du ja doch schon Berg- und Talerfahrungen hast, fröhlich grüssend überholt wurden. Es wird sicher viele geben, die auch diese "wenigen" Pilger-KM im Geiste des Hl. Jakobus gehen und sich daran erfreuen. Viele werden dich bewundern, bestaunen, auch beneiden und sich freuen, einen Pilger getroffen zu haben, der viele Monate unterwegs war und noch immer fröhlichen Mutes entlangpilgert. Was auch für uns - für dich - immer wieder schön ist sind die vielen Messen, die für und mit den Pilgern gefeiert werden. So wie heute, wo du den deutschen Text vorlesen konntest. Auch bei diesen Gelegenheiten begleitet dich offensichtlich der Hl. Jakobus! Lieber Walter, wir wünschen dir für die restlichen 4 Gehtage alles erdenklich Gute und Gottes Segen. Der Hl. Jakobus möge dich auch auf deinem restlichen Weg begleiten und beschützen! Liebe Grüsse aus dem kalten Göss - Ingrid und Werner

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  2. hallo pilger walter! unbeschreiblich deine erbrachte leistung, gratulation!! vor ein paar monaten haben wir den link von werner bekommen und sind bis heute sowas von beeistert beim lesen deiner berichte und nun sind es auf einmal nur mehr 4 gehtage od. ca.100km. kaum zu glauben, aber deine reise geht in die zielgerade. wir wünsche für die letzten km alles gute und die zimmer werden, dank der hilfe vom hl. jakobus, trotz der menschenmassen, für dich frei sein. liebe grüße, sowie kraft für den endspurt. alexandra und werner

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  3. Zuerst habe ich mir gedacht, du musst dich in die Ägäis vegangen sein, als ich von Samos gelesen habe. Das wäre dann eine amphibische Pilgerschaft geworden - von einer Insel zur anderen.
    Aber Spaß beiseite: Wahnsinn, jetzt kannst du die verbleibenden Tage ja schon an einer Hand abzählen. Gratuliere!
    Und Mittwoch nächster Woche - das ist nicht mehr lang - bist du schon wieder auf der Rückreise.
    Lukas freut sich sicher schon darauf, dass er dich wieder sieht. Wer weiß, vielleicht träumt er ja gerade von seinem Pilger-Oooooopa.

    Buenas noches aus Mödling, Lukas, Susanne & Klaus

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