Mittwoch, 21. September 2011

Kampf- und Krampftag

Liebe Freunde,
ihr lest die Überschrift richtig. Es war heute ein Kampf- und ein Krampftag für mich. Wie und was das war, das könnt Ihr in meinem Bericht nachlesen, wenn Ihr daran interessiert seid. Sonst könnt Ihr den Bericht einfach schließen und etwas Sinnvolles tun :-)

Weil ich in meinem Quartier erst um 8h ein Frühstück bekomme, verzögert sich heute mein Abmarsch in den schon hellen Tag. Das wäre kein Problem, den die geplanten 30Km schaffe ich auch so. Aber in meinem Zielort Airexe gibt es nur ein Hostal mit Zimmern und ich fürchtete ein Ausgebuchtsein. Aber ich vertraue auch dem Hl. Jakobus, der mich bei der Quartiersuche immer so toll unterstützt.
Vom Wetter war es heute ein drückender Tag. Es herrschte dichter Nebel. Diese Nebelwand war schon gestern von den Höhen aus zu sehen und heute tauchte ich in diese ein. Erst ab dem Nachmittag kämpfte sich die Sonne durch, ohne dass deswegen ein ganz schöner Tag wurde.

Der Weg führte heute durch dunkle und alte Pfade. Die Eichen beiderseitig des Weges ließen nur einen kleinen Korridor frei und schluckten fast alles Licht. An beiden Seiten des Weges begrenzten kunstvoll aufgeschichtete Steinmauern die Weiden. Der Weg selbst war durch die vielen Felsensteine ein typisch alter Pilgerweg. Es war eine mystische Stimmung, dass man sich in alte Pilgerzeiten versetzt fühlte. Dieses Bild verstärkten die wenigen Häuseransammlungen mit ihren alten Steinmauern. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein und man erwartet bei jedem Haus, dass man beschossen wird, denn in jedem der alten Häuser waren Schlitze und Öffnungen zu sehen, wie sie in Wehrbauten zu finden sind.
Nicht zum Bild passte dann ein Mini-Crux-de-Ferro, wo auf einen Steinhaufen eine Art Puppe entstanden ist, der alles nur erdenkliche umgehängt wurde, bis hin zur Damenunterwäsche. Es ist irre welche Auswüchse am JW blühen. Es gibt keinen Km-Stein, keine Tafel, kein Verkehrszeichen oder gelben Richtungspfeil, die nicht durch irgendwelche Schmierereien und Verewigungen "verziert" wurde. Dazu kommen noch die Malereien auf der Straßen und ich möchte gerne wissen, wieviele Liebesbezeugungen den JW überdauert haben.

Bin ich überhaupt am JW? Diese Frage war heute berechtigt. Nach 8Km Gehen habe ich erst 3 Pilger getroffen. Ist das ein Geschenk zum Abschluss? Durch die einsame Gegend hat sich der Pilgerstrom verlagert. Viele haben schon in Sarria Station gemacht und andere sind nach Portomarin weiter gegangen. Somit war auf meinem erstern Streckenabschnitt kaum Pilgerverkehr. Ich habe das genossen.

Die Erde ist in Galicien sehr karg und nun überwiegt hier die Viehwirtschaft und hauptsächlich sind es Rinder, die hier weiden, gut eingeschlossen in den Weidenflecken, die mit aufgeschichteten Steinmauern begrenzt sind.
Auf den Äckern wachsen für den Eigengebrauch, Kartoffel, Rüben, Paprika und die Kohlstauden. Das muss ich näher erklären. Es ist dies eine andere Kohlart, die in die Höhe wächst und 2m Höhe erreichen kann. Es werden die großen Blätte von unten weg geerntet und für die typische galicische Suppe oder Eintopf "Caldo Gallego" mit Kartoffel und Bohnen verwendet. Die Suppe schmeckt übrigens sehr gut.

Durch Galicien geht es laufend hinauf oder hinunter. An ebene Strecken kann ich mich nicht erinnern. Das macht das Gehen auch für einen erfahrenen Gehpilger anstrengend. Die Spanier machen es sich leicht. Nur die wenigsten gehen mit vollem Gepäck. Viele, auch Radpilger, sind mit gar nichts unterwegs. Das Gepäck wird mit Begleitfahrzeugen oder durch Transportdienste weitergeschickt. Auch die Taxis haben hier Hochsaison. Sie fahren im Pendeldienst Gehunwillige zum nächsten Quartier weiter, aber nicht ohne 2-3mal unterwegs stehen zu bleiben, um einen Stempel in den Pilgerpass zu bekommen. Sie alle, wenn nur die erforderliche Stempelanzahl vorhanden ist, bekommen die Compostela. Sollten einem weitgereisten Pilger auf den letzten 100Km ein notwendiger Stempel (2 pro Tag) fehlen, wird dem die Urkunde verweigert. Das ist ein bodenloser Blödsinn und entwertet die Urkunde und das Pilgern.

Der Ort Portomarin ist bemerkenswert. Er wurde in den 60er Jahren auf höher gelegener Lage neu aufgebaut, weil der alte Ort im Stausee des Flusses Mino versank. Die historischen Bauten, so auch die mächtige romanische Wehrkirche, wurden Stein für Stein abgetragen und an neuer Stelle wieder aufgebaut. Derzeit, aber anscheinend schon länger, ist der Stausee ausgelassen und man sieht noch einige Ruinen im Flussbett. Kurios schaut dabei die alte niedrige Brücke aus, die normal vom Wasser überschwemmt ist, und nebenan steht die "neue" Brücke mit sicher mehr als 50m Höhe.

Und weiter ging das Auf und Ab und wieder ging es durch einsame Gegenden und die Füße wurden schwer. Was ist los Pilger Walter? Schwächelst du?
Ja! Irgendwie fühlte ich mich müde und die Füße waren schwer. Das Gehen wurde zum Krampf und ich versuchte mich mit allen Mitteln zu motivieren, aber der PGV ging nicht richtig rund. War es das Grau des Nebels, dass die Motivation drückte oder habe ich innerlich schon zurückgeschalten? Trotzdem kämpfte ich mich durch und endlich kam nach 20Km Gehen, ein Ort mit einer Bar und ich konnte mich stärken. Ein Bocadillo de jamon serrano y queso und ein Cerveza gaben wieder Kraft und die kurze Ruhepause haben den Pilger Walter wieder wie neu gemacht. Nun war der PGV wieder fahrplanmäßig unterwegs und er war auch für ein Kräftespäßchen aufgelegt.

Bald nach der Bar führte der Weg über eine gut ansteigende Asphaltstraße und das etwa 500m gerade aus. Hundert Meter vor mir kämpfte sich ein spanischer Radpilger nach oben und ich merke, ich komme ihm näher! Na gut, jetzt will ich es wissen. Ich werfe den Fehdehandschuh und das Duell Radpilger gegen Gehpilger kann beginnen. Der Radpilger darf seinen Vorsprung behalten und der Hl. Jakobus gab das Startzeichen: Santiago, fertig, los!
Vorne der mit der Steigung kämpfende Radpilger im wackelnden Strampeln und von hinten kommend, im festen Pilgerschritt, der Pilger Walter, der langsam aber sicher Schritt für Schritt aufholte. Der Abstand hat sich auf 20m verringert und der Pilger Walter sah die Chance noch vor Ende der Steigung in Führung zu gehen. Jetzt ging der PGV mit Höchstgeschwindigkeit. 10m Abstand: Der Radpilger hörte das typische Dock, Dock des Stockeinsatzes hinter sich und blickte sich um. Man meinte ein entsetztes Staunen in den Augen zu erkennen und mit letzter Kraft trat der Radpilger in die Pedalen, um die Schmach abzuwenden. So blieb der Abstand kurz gleich, aber die Kraft des Radpilgers war dem Ende zugehend und der Gehpilger ließ nicht locker. Da rettete den Radpilger eine Verflachung der steigenden Straße und er durfte als Erster die Bergwertung überqueren.
Doch was ist das? Auch der leicht unterlegene Pilger Walter kommt lachend ins Ziel und zeigt auf die Brust. Hier ist das Abzeichen des Sponsors zu sehen - das Jakobuskreuz. Nun ist klar warum der Pilger Walter so stark ist. Er ist gedopt mit der Kraft des Jakobuskreuzes.

Mit viel Energie ging es dem Ziel Airexe zu und beim einzigen Hostal fragte ich bangend, ob sie ein Einzelzimmer frei haben. Claro, ist die Antwort. Ich freute mich, aber nur solange, bis ich den Preis für das kleine Zimmerchen mit Bad hörte. 45€ sollte es kosten. Nein, nicht mit mir, da gehe ich lieber weiter. Das sage ich auch und die Vermieterin zuckte mit den Schultern. Sie weiß, wenn ich gehe, kommt der Nächste und der zahlt den Preis.
Ich habe mich schon in der Vorbereitung auf ein mögliches Weitergehen eingestellt. Die Stadt Palas de Rei ist zwar 8Km entfernt, aber das kann ich schaffen. Unterwegs gibt es noch zwei Pensionen und vielleicht finde ich hier etwas, so hoffte ich.
Aber in allen Quartieren war nichts zu bekommen, denn die Zimmer waren vorbestellt und die Gepäcksstücke warten schon auf die Besitzer.
Also weiter bis Palas de Rei und etwa 2Km vor der Stadt sehe ich eine große Hotelanlage mit bungalowartigen Häusern und ich frage auf gut Glück, ob sie Zimmer frei haben und was sie kosten. Ja und die tollen und großen Zimmer kosten nur 28€ inkl. Frühstück. Da hat mein Begleiter wieder gut gearbeitet und so ziehe ich, in einer Hand ein großes Bier, welches ich mir heute verdient habe (35Km), in mein Zimmer ein und bin mit mir, mit dem Tag und der Hilfe von Jakobus sehr zufrieden.

Zu früh gefreut! Wegen des Weitergehens um 6-7Km, glaubte ich, dass ich morgen einen gemütlichen Gehtag habe, aber nein, in meiner Streckenberechnung für morgen, fehlten 9,6Km eines Abschnittes!!! Da hatte ich aber Glück oder Segen, dass ich heute weitergehen musste. Sonst hätte ich morgen dumm aus der Wäsche geschaut. So kann man sich irren und nun gleicht sich Vorsprung und die vergessenen Km fast aus und es wird morgen doch wieder ein 30er.
Euer Pilger Walter

4 Kommentare:

  1. Hallo!
    Zurück vom der Unterseite der Welt, wo ich bei jedem noch so geringen WLan deine Berichte mitverfolgt hab. Es ist gewaltig was du in dieser Zeit so geschafft hast! Wenn ich so denke, wie weit es ist, wenn am Display steht: Zum Zieflughafen 2800km und und du davon schon fast alles geschafft hast, kannst du echt sehr sehr beruhigt in die letzten drei Tage gehen!
    Liebe Grüße
    Peter

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  2. Hallo Walter, Wahnsinn wie du deinen Weg meisterst. Wünsche dir noch drei gute Tage bis zu deinem Ziel. lg Erich

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  3. Nur noch 3 Tage zu gehen hat der PGV - und dann hast du es geschafft! Toll lieber Walter, wie du auch diese sicherlich sehr schwierige Tagesetappe - noch dazu verlängert - wieder gemeistert hast und auch noch einen Pilgerradler auf luftige Höhen geholfen hast. Ohne deinen Atem wäre er möglicherweise abgestiegen, das Rad geschoben und sich dann geärgert - so aber wurde er von einem echten PGV zu Höchstleistungen angetrieben. Deine täglichen Berichte sind wie deine Gehleistung - sie nehmen auch gegen Ende deiner langen Strecke nicht ab sondern bleiben spannend und interessant. Dies wird sicherlich all deine vielen Begleiter im Geiste, die wahrscheinlich jetzt gegen Ende noch mehr werden, freuen. Sind schon gespannt auf deinen Erlebnisbericht, wenn du in 3 Tagen deine Füsse auf den heiligen Boden der Kathedrale von SdC aufsetzt - wir freuen uns, dies zumindest im Geiste miterleben zu können, vor allem freuen wir uns für dich. Dein Traum geht in Erfüllung! Lieber Walter, viel Kraft, Energie, angenehme Wege und noch gute Einzelzimmer und vor allem Gottes Segen auf deinen letzten Kilometer wünschen dir von Herzen Ingrid und Werner

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  4. EINHUNDERT - 100 - Gehtage bist du heute unterwegs ! Herzliche Gratulation dazu und lass dir nach getaner "Arbeit - sprich Gehen" ein besonderes Glas Wein gut schmecken!
    Alles Gute weiterhin und ganz liebe Grüsse von Deinen Freunden Ingrid und Werner

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