Freitag, 9. September 2011

Ruhetag und trotzdem rege

Hallo liebe Tagebuchfreunde!

Wer glaubt, ein Pilger Walter gibt am Ruhetag nur Ruhe, irrt. Nein, ich versuche das nachzuholen, was mir beim notwendigen Gehen am und für den JW entgeht und hier in Sahagun gelingt es mir perfekt. Es ist mein bester und schönster RT und kein bischen Langeweile kommt auf. Dabei dachte ich beim Ankommen, na so besonders ist der Ort nicht, aber dann, ausgerastet, ausgeschlafen und aufnahmefähig schaut alles anders aus.
Vorgestern, nach 38Km, bin ich ohne Stadtplan durch den Ort geirrt und habe eigentlich einen Supermarkt und ein Restaurant gesucht. Der Ort hat kein richtiges Zentrum und man muss die kleine Stadt "erleben" und das ist mir am Ruhetag gelungen.

Am Morgen und auch am NM war die wichtige Tätigkeit am RT, das Erarbeiten der nächsten Etappen nach dem jetzigen Wissensstand und das Vorbereiten der markanten Wegepunkte und der Quartiere. Das ist für die nächsten acht Tage, bis zum nächsten und letzten RT, nicht so einfach, denn es gibt einige Wegvarianten und die für mich wichtigen Quartieranforderungen. Ich glaube, mit dem neuen Plan, dürfte das Weitergehen in meinem Sinne gut verlaufen.

Am späten VM machte ich mich, gemütlich und betont langsam (Entschleunigung) und ausgerüstet mit einem Stadtplan auf Sightseeingtour und mit dem Zeithaben und einer Aufnahmebereitschaft eröffnet sich dieser Ort für mich. Die historischen Sehenswürdigkeiten, die vom durchführenden JW gar nicht so erkennbar sind, sind echt begeisternd.
Es gibt hier tolle (kirchliche) Bauwerke, die teilweise architektonisch unter maurischen Einfluss stehen. Ganz besonders beeindruckend sind die lebensgroßen Figuren und Darstellungen der Kreuzwegsstationen, die in der Prozession der "La Semana Santa" (Heilige Woche = Karwoche) von vermummten Personen durch die Stadt getragen werden. Das kennt man sonst oft aus Andalusien und auch hier würde ich das gerne miterleben. Dieses Darstellen der Kreuzwegsstationen bis hin zur Grabesruhe muss ein besonderes tiefgreifendes Erlebnis sein. Die Utensilien dafür, sind in zwei Kirchen/Museen ausgestellt. Vielleicht finden sich auf dieser Homepage nähere Details und Fotos: jnazarenosahagun.com
Beim bewusst langsamen Bummeln durch den Ort, sehe ich natürlich reichlich Pilger, die den JW beschreitend und durch die Gassen ziehend, durchmarschieren. Ich sehe mich dabei selbst, wie ich getrieben, mein Etappenziel zu erreichen und ein "Zimmerhabenwollend", vieles nicht aufnehmen kann. Aber wie schon ein paarmal erwähnt, ich bin auf Pilgereise über 2.800 extreme Kilometer und nicht auf Sightseeingtour. Die knapp vier Monate dafür, sind eben nicht länger. Es tut aber gut, Zeit zu haben und dafür bieten sich die RT an.

Für mein Mittagsmahl kaufte ich mir in einem Supermarkt eine große und frische Fertigpizza zum Aufbacken und eine ganze Bouteille guten spanischen Wein (eine kleinere Flasche gibt es nicht). Das kostet zusammen nicht einmal 4€. Die Lebenshaltungskosten, so habe ich das in Geschäften und Lokalen schon oft feststellen können, sind in Spanien viel niedriger als bei uns. Ein kleines Bier, hier immer 0,25L (= Kinderbier), kostet z.B. zwischen 1,00 und maximal 1,50€ und da bekommt man oft sogar noch kleinen Happen an Tapas dazu. Das ist umgerechnet auf ein Krügerl bei uns, ein sehr guter Preis. Und dieses Bier war auch der Abschluss meiner Besichtigungstour durch Sahagun.

So habe ich mich am RT für das Mittagessen selbstversorgt, denn im guten Quartier, der Casa Rual Arturo, gab es eine vollwertige Küche. Die Flasche Wein genieße ich zu 2/3 zur Pizza und der Rest versickerte im Laufe des NM durch die, auch am RT, durstige Pilgerkehle.
Kurz habe ich auch daran gedacht, mir für das Abendessen Schinken, Wurst, Käse und Brot zu kaufen und im Quartier zu verspeisen, aber den Gedanken habe ich dann schnell fallen lassen. In den Restaurants bekomme ich um 10€ ein gutes und sättigendes dreigängiges Abendessen inkl. Wein und Brot und für die Jause würde ich vielleicht gleich viel ausgeben. Da gehe ich lieber in ein Lokal und bin unter Leuten. So habe ich es auch gemacht.

So war das gestern für ich ein sehr schöner Ruhetag und ich wünsche mir, das positive Gefühl in den nächsten und letzten Gehtagen mitnehmen zu können.
Es stellt sich nur die Frage, was denn alles zum Wohlfühlen am RT beigetragen hat. Das erlebende Schöne des Ortes, die gute Unterkunft, das Wissen es sind "nur" mehr 15 Gehtage und etwa 365Km oder die Flasche guten spanischen Weines?
Liebe Freunde, Ihr dürft Euch Euer Bild selbst machen.
Auf gut Glück gehe ich vor dem Abendessen (20h) noch in die kleine Kirche der Benediktinerinnen, die auch eine Herberge betreiben, und komme um 19h gerade recht zur Vesper. Beim anschließenden Pilgersegen am Altar, ist mir ob des vielen Segens, Glück, Kraft und Gesundheit, vor Dankbarkeit das Häferl (wie man so sagt) übergegangen und von den Schwestern bekam ich ganz liebe Blicke der Zuwendung.
Den langen Weg von der Kirche bis zum Restaurant habe ich gebraucht, um wieder normal sehen und denken zu können. Diese tiefen Emotionen begleiten mich schon viele hundert Km oder viele Wochen - so etwa ab der Schweiz. Das ist auch ein Werk des JW.

Gut gestärkt, körperlich und seelisch, beginne ich heute den Tag. Durch die lange Etappe vorgestern, musste ich die nächsten zwei Tagesstrecken neu planen. Für heute bot sich eine Kurzetappe mit 18Km an, denn bei einem Weitergehen hätte ich heute wieder 38Km gehen müssen, um zu einem passablen Quartierangebot zu kommen. So entscheide ich mich für ein gemütliches Gehen und um 11h sitze ich in El Burgo Ranero schon bei einem Erfolgsbier nach getaner Arbeit.

Unterwegs halte ich Ausschau, aber ich finde keine Schweine am JW, nur reichlich Pilger. Also müssen sie es sein, die den Saustall entlang des Weges verursachen. Es ist erschreckend, welche Müllhalden die Pilgermassen hinterlassen. Auf der anderen Seite ist es von den Gemeinden und Verwaltungen dumm, kaum Müllsäcke aufzustellen.
Aber die Spanier halten es nicht so mit der Sauberkeit. In den Bars und Gasthäusern ist es üblich, dass an der Bar die leeren Zuckersäckchen, die Zahnstocher von den Tapas und sonstiger Müll einfach auf den Boden geworfen wird und am Tagesende wird alles hinausgekehrt. Aber es sind keine Zigarettenstummel dabei.

In diesem Zusammenhang muss ich ein Thema, welches mich in Frankreich und hier in Spanien sehr angesprochen hat, aufgreifen. Es ist das strikte Rauchverbot in den Lokalen, ob Cafe, Bar oder Restaurant. Hier wird wirklich nicht geraucht, egal um welche Zeit und sind andere Gäste anwesend oder nicht. Alle, auch der Wirt, gehen vors Lokal um zu rauchen. Dabei kann man z.B. die Franzosen sicher keinesfalls als Nichtraucher bezeichnen. Es ist Gesetz und alle halten sich daran und die vielen Lokale sind trotzdem voll. Bei uns beginnt bei der Diskussion sofort eine Weltuntergangsstimmung bei den Wirten und unsere feigen Politiker haben mit ihrer Politik und Gesetzgebung nur die nächste Wahl vor Augen. In ganz Europa funktioniert das Rauchverbot in den Lokalen, nur in Österreich ist das nicht möglich. Wir sollten uns schämen.

Ein Problem am Jakobsweg, dass der Pilgernotdurft müsste aber gelöst werden. Kaum ein Fleck hinter einem Baum, in einer Senke oder bei einem Gebäude, wird nicht als Abort verwendet. Die wiederlichen und vom Wind verstreuten Papierreste zeugen davon.
Wenn man die Pilgermassen hierher lotst, dann muss auch für die menschlichen Bedürfnisse gesorgt werden. In Frankreich gibt es nur wenige Orte, wo es kein öffentliches WC gibt.

Ich bin heute wie immer zügig unterwegs, wobei ich es bei der kurzen Etappe doch gemütlicher angehe. Da zieht auf einmal ein deutscher Pilger mit Laufschritt (sicher mehr als 6Kmh)an mir vorbei. Er schafft es sogar, dabei zu telefonieren. Respekt!

Unterwegs kommt öfters einmal Traurigkeit auf, wenn am Wegrand Kreuze oder Tafeln an einen hier verstorbenen Pilger erinnen. Es sind auch für mich mahnende Zeichen, dass unser Leben voll in Gottes Hand liegt und jeder Tag des Lebens ein Geschenk ist.

Für heute und morgen gibt es zwei Wegvarianten. Die empfohlene Alternative, die auch ich zuerst geplant hätte, führt durch einen einsamen, abgelegenen und schattenlosen Landstrich und der einzige Ort dazwischen, wäre Calzadilla de los Hermanillos gewesen.
Die im Führer abgelehnte Hauptroute sollte wegen der schnurgeraden Wegführung mit Straßenbegleitung und Autobahnnähe undiskutabel zum Gehen sein. Da hat der Schreiber des Führers maßlos übertrieben. An der begleitenden Straße fahren keine 10 Autos vorbei und die Autobahn ist mit 300m Entfernung genügend weit weg, um wirklich störend zu wirken. Dafür hat dieser Weg genügend Raststellen (inkl. Müll) und fast durchwegs wurden Laubbäume gepflanzt, die Schatten spendeten.
Aber der Ort El Burgo Ranero, den man durchquert, bietet sich mit der Entfernung und mit guten Hostals als Etappenort besser an. Dabei kommt mir der Ort vor, wie ein burgenländisches Dorf in den 60er Jahren. Hier dürfte die Zeit stehen geblieben sein, so sehen Häuser und Straßen aus.
Aber ich habe hier ein sehr schönes Zimmer bekommen und bin zufrieden mit mir und der Welt. Denn wenn ich beim Fenster hinausblicke, sehe ich gegenüber den Herbergseingang, wo sich die Pilger anstellen, um ein Bett zu bekommen. Da wird mir so richtig bewusst, wieviel Glück und Segen ich in den letzten zwei Wochen hatte, wo ich immer ein gutes Zimmer für mich fand und ich bin sehr dankbar dafür.

So grüße ich Euch alle, die Ihr Anteil nehmt, an meinem Pilgerweg.
Euer Pilger Walter

3 Kommentare:

  1. Buenas noches, lieber gücklicher Walter!
    Es überträgt sich Deine Freude am Camino u. Deine sehr bildhaften Beschreibungen machen süchtig! Habe die Berichte aus der Schweiz nachgelesen u. weiß nun auch, weshalb die Rindviecher dort so "scharf" auf mich waren: Es war lediglich meine dottergelbe Regenabdeckung meines Rücksacks(Kraftfutterbehälterfarbe!
    Auch die reichlichen Umwege in Frankreich sind mir nun klar. Ich weiß zwar nicht, wie Du auf die Zahlen gekommen bist, meine Schätzng für la France wäre höher ausgefallen. Ich bin sonst immer auf dem Jakobsweg gelaufen, aber auf der Via podiensis habe ich rebelliert u. auf den direkten Wegen auch wirlich alte rot-weiße Markierungen, alte Pilgerkreuze, Burgen, herrliche Birnen, Pflaumen u. Brombeeren gefunden u. vor allem waren diese Wege pilgerfrei. Das ist eben manchmal auch ganz angenehm.
    Für uns ist eine Schönwetterwochenende angesagt u. ich wünsche Dir auch ein solches u. Gottes Segen!
    Noch was von Amseln Grün:
    Du sollst deinen eigenen Weg gehen.Jesus selbst hat den Menschen Mut gemacht, ihrer eigenen inneren Berufung zu folgen. Sie sollen auf die innere Stimme hören, auf den Antrieb, den sie in sich spüren.

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  2. Lieber Freund Walter, der du "NUR" mehr 14 Tage bis SdC unterwegs sein wirst - wir freuen uns ganz besonders mit dir, vor allem, dass du nach so vielen km körperlich und vor allem seelisch noch so gut drauf bist!!! Herzlichste Gratulation dafür und auch noch für den Rest des Weges viel kraft und Gottes Segen! Schön für die anderen PilgerInnen, dass du deine Erfahrungen als Blasenspezialist weitergibst bzw Not-OP`s durchführst und so den Pilgern ein weiteres schmerzfreies Weitergehen ermöglichst. Deine Füsse müsse ja schon "ledern" sein vom vielen Gehen, da haben ja Blasen keine Platz mehr. Es freut uns auch immer wieder, dass du ordentliche Quartiere findest, wo du wieder zu Kräften kommst. Da dabei das Plaudern nicht zu kurz kommt spricht für unseren Pilger Walter, der ja auch nach so vielen km kein Kind von Traurigkeit ist. Auch das ist ein positives Zeichen, dass es dir gut geht und dir diese Gespräche sicherlich auch wieder Kraft und Stärke geben. Nachdem das Wetter hier für die nächsten Tage viel Sonne verspricht werden wir am Samstag und Sonntag schöne Almwanderungen unternehmen, auf die wir uns schon sehr freuen.
    Lieber Freund, wir wünschen dir für die nächsten Tage - wir werden voraussichtlich erst wieder von zuhause aus schreiben - viel Kraft, Ausdauer, angenehme Wege, gute und preiswerte Quartiere und vor allem die gütige Begleitung unseres Hl. Jakobus.
    Ganz liebe Grüsse aus der fernen Heimat Ingrid und Werner

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  3. Hallo lieber Pilger Walter!

    Durch Spanien hast Du nun schon viele gleiche Etappenorte gewählt, die wir auch als Etappenziel gehabt haben. So waren wir auch in El Burgo Ranero, wo wir auch gegenüber der Herberge ein nettes kleines Zimmerl hatten. (Ich erinnere mich noch sehr gut an dieses Zimmer: das Doppelbett stand in der Zimmerecke mit schräger Wand. Als ich mich in der Nacht einmal aufsetzte, krachte ich mit „Karacho“ mit dem Kopf an diese schiefe Wand!) Noch eine Erinnerung an El Burgo Ranero: Beim morgendlichen Gottesdienst in der Kirche sehe ich noch (habe Bilder davon) den Priester am Altar und im rechten Winkel gleich neben dem Altar hatte er ein Keybord stehen und spielte damit die Lieder mit, er war Priester, Organist und Sänger in einer Person!

    Deine Tagesberichte werden ja immer interessanter, tiefschürfender und ideenreicher. Vielleicht finden wir für Dich in Zukunft einen Job in der EU als internationaler Jakobswegberater. Mit Deinen Erfahrungen am Jakobsweg durch 4 Länder hättest Du sicherlich viele Ideen und Vorschläge einzubringen.

    Sollte es aber mit diesem Job doch gleich nichts werden, so kannst Du in der Zwischenzeit als Vortragender über Erlebnisse über Deine fast 3000 km zu Fuss durch ganz Europa tätig sein. Zuerst einmal in unserem Bezirk und dann infolge des großen Interesses und der Nachfrage durch die ganze Steiermark. Ich biete mich jetzt schon an, Deinen Vortrag in Mautern zu organisieren und zu managen und meine das wirklich ernst. Denn nicht nur Peter Sirius sagt: Viel Wandern macht bewandert! --- Du könntest bei diesen Vorträgen auch schon Dein Buch mit Deinen gesammelten Tagebucheintragungen verkaufen. Deine Ausgaben am JW kämen mit Sicherheit wieder mehrfach herein! Du kannst deshalb nun schon anfangen, Dir noch bessere Quartiere zu suchen!

    Alles erdenklich Gute weiterhin auf Deinem Camino.
    Herzlichst
    Helmut und Elvira

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