Samstag, 13. August 2011

Ausnahmezustand am JW

Liebe Freunde,
die Franzosen sind derzeit nicht meine Freunde, denn was sich jetzt, am langen WE am JW abspielt, ist Kampf um jedes Zimmer. Alle Franzosen sind derzeit am GR65, wie der JW offiziell heißt, und haben alle Unterkünfte okkupiert. Gestern habe ich sie beobachtet, wie sie, die zehn gestrigen Franzosen, vorgehen. Mein heutiger Etappenort soll schon voll sein und sie zücken ihre speziellen Quartierführer mit allen notwendigen Infos hervor und einer ruft alle in Frage kommenden Quartiere an und reserviert sich sein Zimmer. Die anderen machen es ihm nach. Über bleiben die lästigen Ausländer/Pilger.
Ich könnte es auch versuchen, doch bei unseren Telefontarifen würde das Zimmer gleich um einiges teurer werden. Ganz abgesehen von den mangelnden Französischkenntnissen.
Ich gehe wie immer im Gottvertrauen los und versuche irgendwie unterzukommen. Das hat bisher 64 mal funktioniert, so auch heute. In Montreal-du-Gers war zwar nichts mehr zu finden und ich wäre nach einem heißen Sommerhatsch nicht wählerisch gewesen. Auf gut Glück und es war eines, ging ich zum Office de Tourisme und erwarte am Samstag Nachmittag ein geschlossenes Büro. Doch gerade beendet die Angestellte ihre Mittagspause und ich kann meine Bitte um ein Bett anbringen. Es gäbe auch in der Umgebung Schlafmöglichkeiten und sie ruft an, ob etwas frei ist. Zwei bis drei Km weiter, auf einer Umwegsvariante gebe es noch ein Zimmer für zwei Personen. Das nehme ich ungeschaut und bitte die freundliche Frau für mich beim Hotel im nächsten Etappenort anzurufen und auch für dort habe ich morgen ein Zimmer :-) und dann, nach dem langen WE, dürfte es vielleicht wieder ruhiger werden - hoffentlich!

In meinem gestrigen Quartier, wo ich wieder gut gegessen und auch gut geschlafen habe, hat der freundliche Herbersvater beim Essen einen Begriff für mich gefunden, als er von den anderen Pilgern hörte, dass ich sehr flott marschiere.
PGV - in Anlehnung an den französischen Paradeschnellzug TGV nannte er mich PGV.
TGV = Train Grand Vitesse (frei übersetzt: Zug mit großer Geschwindigkeit)
PGV = Pelerin Grand Vitesse
Ich fühle mich geehrt :-)

Heute morgen war Hochnebel mit feinem Nieselregen angesagt, aber nach einer Stunde setzte sich die Sonne durch und wie! Es hat hier jetzt angeblich nur um die 30Grad (es fühlt sich aber deutlich heißer an) und da haben wir Pilger aber ein Glück, denn normalerweise hätte es hier um diese Zeit 35-40° - da sind wir aber froh! Momentan ist es ein arges Schwitzen.

Die Sonne geht auch in den hier zahlreichen Weingärten ordentlich an die Arbeit, denn die ersten Weintrauben werden schon süß. Ein paar habe ich schon probiert.

Mit den Wegmarkierungen hatte ich heute wieder meinen Ärger. In der Stadt Condom wird der JW nicht in die Altstadt geführt und ich musste mir selbst den Weg zur interessanten Kathetrale suchen und auch die Suche an den Anschluss zum JW blieb mir selbst vorbehalten. Und dannam JW war eine Wegsituation so blöd angezeigt, dass ich mit voller Überzeugung einen falschen Weg einschlug und auch im Führer war diese Abzweigung so zu lesen. Nach einigen hundert Metern begannen sich Zweifel zu mehren, ob ich hier richtig sei. Schon lange habe ich keine Markierung mehr gesehen. Bin ich richtig oder bewege ich mich auf Abwegen? Diese quälende Frage kommt dann immer hoch. Ein Stück noch nach vor schauen, aber auch beim Kreisverkehr gibt es keine Markierung. Ich muss falsch unterwegs sein. Also mit Zweifel umdrehen und einen Km zurück gehen! Ich probiere die andere Variante und da passt es dann - Ärger und Freude zu gleich! Aber gleich darauf, die ähnliche Situation, ich sehe schon wieder keine Markierung und gehe wieder zweifelnd weiter, bis 500m weiter, endlich eine Markierung anzeigt, dass ich am richtigen Weg bin. Wisst Ihr, wie lange da 500m werden?
Der Stadt Condom gehört selbiges übergezogen, damit sich die inkompetenten Tourismus- und Wegeverantwortlichen nicht vermehren können.

Wie ich so in der prallen Mittagshitze marschiere, sehe ich eine Pilgerin vor mir. Schnell komme ich näher und glaube nicht recht zu sehen. Sie geht mit langen Hosen und Gamaschen, einer Jacke, Handschuhen und einer Sommermütze mit Ohrenschützern. Glaubt sie sich auf eine Nordpolexpedition.
Auch meine Mitschläferinnen im gestrigen Zimmer dürften unterkühlt sein. Ich liege nur mit einem Leintuch im Bett und sogar das habe ich in der Nacht weggegeben, weil es im westseitigen Zimmer so heiß ist und ich liege nur mit meiner Sporthose im Bett. Die beiden liegen in ihrem Schlafsack und haben sich noch mit einer Wolldecke zugedeckt.

In Montreal-du-Gers höre ich seit längerer Zeit endlich wieder deutsche Worte. Am Platz vor dem Tourismusbüro werde ich von Edi und Doris, zwei Schweizern und von Jutta, einer Deutschen begrüßt. Das ist eine Wohltat, wieder deutsch zu hören und zu sprechen. Das Schweizer Ehepaar ist auf Genusspilgerschaft. Das heißt, sie gehen den ganzen Weg von etwa Bregenz weg, bis Santiago in einem gemütlichen Tempo und mit wenigen Tages-Km. Sie sind schon um den 20. Mai weggegangen und haben sich kein zeitliches Ziel gesetzt. Sonntags machen sie immer Pause. So wäre ich auch gerne unterwegs, aber dann wäre ich ein halbes Jahr von meiner Familie getrennt und auch finanziell wäre es eine Herausforderung.
Alle Drei wohnen heute auch in meinem Quartier und ich freue mich schon eine Konversation auf Deutsch zu führen. Die verzweifelte Jutta musste ich im 2.Bett in meinem Mini-Zimmer aufnehmen, weil ich das letzte Zimmer bekommen habe. Sie hätte sonst ins Ungewisse und weit, weitergehen müssen.

So habe ich es wieder geschafft ein Bett zu bekommen und auch ein Bericht ist sich ausgegangen, obwohl mir unterwegs nichts eingefallen ist.
Übrigens, wundert es Euch, dass ich 500m vor meinem Quartier, keinen Geist hatte, eine interessante Römerausgrabung zu besichtigen? Es war 14:30 und der Km-Zeiger zeigte 30Km an.
Euer Pilger Walter

PS: Gerade hat eine 4-köpfige französische Wandergruppe weitergehen müssen, weil nichts mehr frei ist. Es gibt doch eine ausgleichende Gerechtigkeit

2 Kommentare:

  1. Hallo Walter!

    Ein Wunder, dass dem PGV nicht doch einmal die Gesichtszüge entgleißen. Offenbar bist du nicht nur körperlich, sondern auch seelisch in Topform; mein Kompliment dafür.
    Lg, Gerald

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  2. Salut!

    PGV ist gut! :-)

    @Quartiertelefonieren: Ich habe gelesen, dass österreichische Pilger in Österreich auch größere Telefonierarbeiten erledigen müssen, um rechtzeitig ein Zimmer vorzubestellen. ;-)

    Liebe Grüße aus Mödling!

    Lukas, Susanne & Klaus

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