Dienstag, 16. August 2011

Weiter, immer weiter und noch weiter

Liebe Freunde,
wenn Ihr den gestrigen Bericht gelesen habt, dann habt ihr auch mitbekommen, mit welcher Anstrengung und mit welcher Kraft ich diesen Tag gemeistert habe und dann stehe ich fast ohne Quartier und ohne Essen und Frühstück da. Mit dem Wirken des Hl. Jakobus endete der Tag noch wundervoll.
Ich habe noch ein vollständiges Menü von der Herbergsmutter bekommen, die nicht darauf eingerichtet war, einen Pilger zu verköstigen und es vielleicht auch nicht darf. Sie hat für mich alle Vorräte durchforstet und gezaubert, dass ich ihr dann drei Hauben vergeben habe.
Ich habe zur Vorspeise gartenfrische Tomaten und Thunfisch mariniert bekommen und eine regionale Pastete, die lecker schmeckte. Natürlich Brot dazu, welches in einem französischen Haushalt nie ausgeht. Als Hauptgericht bekam ich gebratene Rindsfiletscheiben und fritierte Kartoffelwürfel. Ein Stück feinen Käse für den Käsegang und als Nachspeise 4 Kugeln Eis. Das Ganze kostete mich 11,- Euro.
So ein Essen muss mit gutem Wein begleitet werden und nachdem die Vermieterin keinen offenen Wein anbieten konnte, leistete sich der Pilger Walter eine Bouteille guten Rotwein, dass habe ich mir verdient und die 5,- Euro trägt die Pilgerkasse bei den Nächtigungs- und Essenspreisen allemal. Von den anderen Nächtigungsgästen, die sich selbst bekochen mussten, wurde ich beneidet und wegen einer ganzen Flasche Wein bewundert. Es hat großartig geschmeckt und die fünf Achterln, eines habe ich beim Plaudern angeboten, haben sehr gemundet. Das hilft sogar gegen schmerzende Füße, ich spürte sie fast nicht nehr - Alkohol hat so etwas wie eine abtötende Wirkung ;-)
Mit den anderen sieben französischen Gästen habe ich mich großartig unterhalten. Eine Frau konnte etwas Deutsch und mit zweien habe ich gar nicht schlecht Englisch gesprochen. Und alles wurde auf Französisch übersetzt. Ich habe mich sehr wohl gefühlt und der Wein brachte die doppelte Bettschwere.

So bin ich heute morgen fit, sofern man den Zustand bei mir noch verwenden kann, losmarschiert. Bis Mittag war es ein eintöniges Gehen. Schnurgerade Straßen oder Schotterpisten zwischen endlosen Maisfelden brachten Null Abwechslung. Der Blick nach rechts oder links unterschied sich nur bei der Wachstumshöhe und ob dieses Feld bewässert wurde oder nicht. Der Blick nach vor war eher frustrierend, wenn sich die Straße bis zum Horizont zog. Nur einmal sah ich 6 Pilger gestaffelt gehen und das brachte Abwechslung und Spaß, diese Pilgerschar von hinten aufzurollen.
Glücklicherweise war der Himmel bedeckt und brachte keine Erschwernis durch heiße Sonnenstrahlen. Durch die schwüle Luft schwitzte ich so auch mehr als genug.

Zwischen den Maisfeldern kam ich dann bei einer schockierenden Entenfarm vorbei. Auf etwa 200 bis 300 m2 waren hier hunderte Jungenten untergebracht. Keine der Enten hatte ein normales Federkleid und sie sahen erbärmlich aus. Dicht gedrängt saßen beieinander oder liefen über das bischen freien Boden oder gleich über die Artgenossen hinweg. Der Besitzer dürfte auch schon eine Zeit nicht hier gewesen sein, denn eine Reihe von Enten waren verreckt und verwesten schon. Man kann sich auch den Gestank vorstellen.

Zu Mittag war das flache Gehen vorbei und es wurde wieder etwas hügelig. Es gab da einen Aussichtpunkt auf einer Anhöhe mit Blick und Hinweistafel auf die Berge der Pyrenäen. Leider war keine gute Weitsicht und die Tafel brachte nichts.
Endlich etwas Abwechslung. Einige Bauernhäuser lassen die Eintönigkeit des Vormittag nicht mehr hochkommen. Es gibt auch wieder Rinder auf den Feldern.
Nun sieht man auch laufend Hinweistafeln für Bauernhöfe, die Entenmastfleisch und -leber anpreisen. So wie die grässliche Farm vor einer Stunde? - Nein danke!
Aber es gibt auch glückliche Enten mit viel Auslauf, Wasser und Erde zum Buddeln. Diesen Enten zuzuschauen, wie sie durch den Garten watscheln, macht Spaß.

Lieber Jakobus, machst Du Dir einen Scherz mit den Pilgern? Heute komme ich an 4 Stellen mit Km-Angabe bis SdC vorbei und überall ist die Zahl anders, also nicht linear absteigend.
Begonnen hat es mit 932Km bis SdC und dann etwa 20Km weiter, steht auf einem Grenzstein 953 Km! Ich will weniger Km sehen und nicht mehr! Oder gehe ich vielleicht verkehrt in meinem Hitzetaumel?
Und so geht es weiter. Auf die Zahl 911Km folgt ein paar Km weiter die Zahl 924 Km. Und wenn ich dann an meinem Ziel meine geplanten Km zusammenzähle, komme ich auf 906Km ab morgen.
Lieber Jakobus, lass die Wegeverantwortlichen zu einer gemeinsamen Meinung kommen. Es könnte sonst passieren, dass ich in meinem PGV-Tempo übers Ziel hinaus gehe, weil ich glaube, es sind noch 10, 20 oder 50Km.

Hier noch eine heitere Episode vom JW.Vor meinem geplanten Etappenort sehe ich vor mir eine Aufregung. Ein Auto mit Anhänger steht mitten auf der Straße, einige Menschen rings herum und drei prächtige Packesel. Eigentlich nur zwei Packesel, denn ein Esel hatte beschlossen zu streiken. Hier war eine Wandergruppe mit Packeselbegleitung unterwegs. Anscheinend reichte es einem Esel und man musste Ersatz mit dem Auto herbringen. Das Ersatztier wurde ausgeladen und beladen und das streikende Tier sollte verladen werden. Doch ein störrischer Esel bleibt in allen Phasen störrisch. Stumm und bockig, mit allen vier Beinen fest im Boden verspreizt, stand der arbeitsunwillige Esel vor der Rampe in den Tieranhänger. Wenn ich nicht will, dann bringt mich hier nichts von diesem Fleck weg! Nur der Tierbändiger wusste ob solcher Marotten auch, wie man so einen Esel in den Wagen bringt. Zu zweit haben sie mit verschränkten Händen das Tier hinten hochgehoben und von vorne hat eine dritte Person am Strick gezogen und der Esel, nun seiner Sperrigkeit beraubt, wurde zentimeterweise in den Anhänger bugstiert.
Ich marschierte mit meinem Gepäck am Rücken weiter und musste sinnieren, wer ist nun der Esel, er oder ich. Er hat sich seinen Feierabend erkämpft, ganz ohne Gewerkschaft, und ich Esel marschiere freiwillig weiter - IiiiAaaa!

Dabei, von freiwillig kann heute wieder nicht die Rede sein. Kurz nach der Eselei komme ich in meinen Etappenort und durfte freudestrahlend zur Kenntnis nehmen, dass auch hier das erhoffte Chambe d'Hotes für immer gesperrt hat. Es gibt auch keine Alternativen, wie mir die Frau vom Tourismusbüro mitteilt.
Für was leisten die sich so ein Büro, wenn sie keinen Pilger unterbringen können? Sie ruft aber rundherum an und bekommt entweder Absagen oder sie bietet mir ein Hotel im nächsten Ort an, um wohlfeile 75,- Euro. Das passt für einen Euro-Millionär, aber nicht für einen Geh-Millionär. Die große Gite (77 Plätze) im nächsten Ort ist nicht erreichbar und ich gehe "freiwillig" und aufs Geradewohl weiter. Ich muss und werde ein Quartier finden, sonst läute ich beim Pfarrer an, wozu habe ich die Empfehlung von Markus, meines Pfarres, mit.

Nun wurde das Gehen schon sehr mühsam, denn auch sie Sonne ist voll im Dienst. Der Vorteil daran, man braucht nicht wegen nahendem Regen zittern ;-) Statt der erhofften 28Km, weil es wegen einer neuen Wegeführung um 2-3Km weniger geworden wären, kommen nun 5-6Km mehr dazu und so waren es heute wieder 34 fußtötende Kilometer - Aaaah! Da helfen auch keine Motivationstexte und -lieder, da gibt es nur Eines: Weiter, immer weiter und noch weiter!

Im nächsten Ort, der mit dem "preiswerten" Hotel, probiere ich es gleich bei der großen kommunalen Gite und werde nach einigen langen Warteminuten, angenehm überrascht. Ich bekomme auch ein tolles und sehr sauberes Einzelzimmer mit Dusche und WC und direktem Zugang vom Garten.
Nur warum das Zimmer von aussen nicht versperrbar ist, ich bekomme keinen Schlüssel, weiß ich nicht. Vielleicht ist ein Extraschlüssel im Preis von 32,50 für die HP nicht mehr drinnen.

Vom nahen Geschäft habe ich mir zwei Dosen Heineken Bier geholt und damit fülle ich meine ausgeschwitzen Mineralstoffe wieder nach. Nur ein Mittel gegen brennende und schmerzende Füße habe ich noch nicht gefunden, ausser einer Flasche Wein. Das wird sich erst ab 25. September bessern, wenn ich mein Ziel erreicht habe.
Euer Pilger Walter

5 Kommentare:

  1. Hallo!
    Da hat dir der Hr. Jakobus eine tolle Herbergsmutter hergezaubert, die dich so gut verköstigt hat.
    Alkohol hat manchmal tröstende Wirkung.

    Liebe Grüße kathrin

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  2. Hallo Walter!
    Jetzt hab ich Hunger!
    Ich werde heute aus Solidarität ein Gläschen auf dein Wohl trinken.
    Wir haben am Samstag "Wandertag", d.h. wir gehen mit unseren Mitgliedern zum Hochanger Schutzhaus, auch dort werden wir auf dich anprosten, also achte besonders auf Schluckauf.

    Lg, Gerald

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  3. lieber pilger walter! wir waren heute mit unserem kommentar zu früh, daher steht er beim gestrigen bericht. ganz liebe grüße von unserer terrasse an einem sehr (seltenen) lauen abend deine im gedanken mitreisenden fans alexandra und werner

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  4. Lieber Freund Walter - es ist erstaunlich, was du alles während unserer kurzen Abwesenheit (auch von modernen Medien) alles erlebt hast - DREISTELLIG bis SdC!!! - herzlichste Gratulation!!! Greenwich-Meridian, Verleihung eines Titels "PGV", Armagnac, Hahn-Erlebnis, Enten (übrigens wird auch Ingrid in Zukunft auf die Entenleber verzichten...) Blechspielzeug (haben wir auch seinerzeit für Felix etwas von unserer Reise mitgenommen). Ja, und deine Erlebnisse von den Beschreibungen - da liest es sich wohl, dass es zwischendurch auch tolle Markierungen gibt. Etwas besorgt lesen wir von deiner Einlage - wir hoffen sehr, dass es mit den "Sporteinlagen" besser wird und du keine Schmerzen bekommen wirst! Aber ganz toll finden wir, dass du dich nach mittlerweile vielen (teils sehr beschwerlichen) Gehtagen immer wieder toll aufrichten kannst, zwischendurch Lieder singst und es dir abends Gott (und dem Hl. Jakobus) sei Dank sehr oft gegönnt ist, ein wunderbares Mahl - oft von sehr lieben Hausleuten - serviert zu bekommen. Das der Wein dazu gut schmeckt passt dazu! Lieber Walter, wir wünschen dir ganz herzlich, dass du auch die "nur... mehr dreistelligen" KM so gut meisterst wie die bisherigen fast 2000! (ein Wahnsinn, oder??) Alles, alles Gute - bleib gsund und liebe Grüsse Ingrid und Werner

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  5. Helmut und Elvira17. August 2011 um 16:34

    Lieber Pilger Walter! Cher pèlerin Walter!
    Elvira und ich schicken Dir wieder einmal für Deine letzten Frankreichtage kiloweise frische steirische Kraft, Energie und Ausdauer via Internet durch den Äther. Halte durch und geh und geh und geh, Du hast die Franzosen bald hinter Dir! In jedem Land gibt es solche und solche, aber nach Deinen diversen Schilderungen über Beschilderung, Gastfreundschaft, Landschaft, … Sanktionen! … etc. habe ich – nicht nur deshalb - meinen ursprünglichen Plan, unsere fehlende Etappe durch Frankreich im nächsten Jahr in Angriff zu nehmen, bereits fast fallengelassen. Uns fehlt momentan die innere Motivation dazu, nachdem wir ja als Fußpilger bereits in SdC waren – und Motivation ist, wie Du ja selbst auch immer schreibst, eine ganz, ganz wichtige Triebfeder für so ein gewaltiges Unternehmen. Wir brauchen Dir nicht zu sagen, dass Du uns für Deine bisherige Leistung höchsten Respekt abverlangst, ich sage es aber als Motivationsschub für Dich immer und immer wieder ganz laut!

    Habe fast alle Deine täglichen blogs ausgedruckt und lese auch immer Elvira vor. Wir hoffen, dass das mit Deiner Flugbekanntschaft, der deutschen Lektorin etwas wird – Broschüre, Reisebericht, Buch!?!?

    Gestern wollte ich es selbst auch wieder einmal wissen und bin in Deinem PGV-Tempo die Strecke von St. Michael nach Mautern (knapp 20 km) flott in 4 Stunden gegangen. Gott sei Dank, dass Du mich nicht gesehen hast, sonst hättest Du wieder den Rollstuhl für mich mitgeschoben, bin halt leider ein hüftgeschädigter Hascher und Hatscher.

    Lustig war Dein Satz vom 9. August: „Keine Menschen und Pilger sind unterwegs.“ Schlussfolgerung: Pilger sind keine Menschen! Wie Du richtig formuliert hast, sind Pilger eine andere Spezies Mensch, keine Unterordnung, sonder Überordnung, denn sie leisten am Jakobsweg Übernatürliches wie Individuen von einem anderen Stern. Deshalb weiter, der Weg möge Dir weiterhin Flügel verleihen. Besonders der Weg durch Spanien ist derart mystisch und kräftegebend, dass man fast gegangen zu werden scheint und nicht selbst geht. (Obwohl der Kampf um ein Herbergsbett noch ärger und schwerer wird.) Die Jakobswegmarkierungen sind in Spanien perfekt, halt Dich nur immer an die gelben Pfeile.

    Schade, dass Du in Deinem letzten gestrigen Bericht vom 16. Aug. nicht geschrieben hast, WO genau Du bist. Einige zusätzliche Ortsangaben würden uns noch intensiver mitgehen lassen, nachdem ich ja vom JW durch Frankreich bereits etliche Führer und Beschreibungen besitze. Nach meinem „Mitgehen“ wirst Du wahrscheinlich heute 17. Aug. so um Laroche … Pomps … Castillon … gar schon nahe Arthez-de-Bearn sein! (Abstecher nach Lourdes?)

    Pass weiterhin gut auf Dich und Deine Füße auf und genieße ganz bewusst jede Minute, jede Stunde und jeden Tag, so eine wunderschöne Zeit kommt nicht wieder, auch wenn man das eine oder andere mal etwas mit seinem Umfeld und seinen Gefühlen hadert.

    Abschließend ein kleines „WEG ZEICHEN“:
    Ich bin vom Weg abgekommen,
    habe mich verlaufen, verloren.
    Dieser Weg führt nicht ans Ziel,
    ist Umweg, Abweg, Irrweg, viel zu breit.

    Anhalten, nicht so weiter.
    Umkehren, den Weg korrigieren,
    abkehren von dem, was falsch war.
    Dann neu orientieren, dem Rufenden nach.
    Wohin? In welche Richtung?

    Weg aus der Langeweile oberflächlichen Menschseins,
    von der Engbrüstigkeit zur Weitherzigkeit,
    aus schwächlicher Hoffnung zu neuem Leben.

    Ultreia und buen camino!
    Herzlichst Helmut und Elvira

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