Montag, 25. Juli 2011

Begegnungen, Wettlauf und Erschwernisse

Wie erwartet, wird es heute ein Tag der Begegnungen. Viele sind ab Le Puy unterwegs. Es ist ein Wettlaufen um die Unterkunftsplätze.

Gestern in Le Puy waren schon viele "Pilger" und noch mehr Touristen zu sehen. Ein wenig bin ich auch durch die beeindruckende Stadt gebummelt. Wobei, bei einem Bummeln stellt man sich ein gemütliches Gehen vor. Das ist in Le Puy nicht möglich, denn der alte Teil liegt auf einem Hügel und alle Straßen sind steingeplastert und gehen steil nach oben. Vielfach sind an den Straßenrändern Stufen angebracht, die man früher für die Esel-Tragtiere baute, damit sie die Wege leichter ersteigen konnten. Und die Steinpflasterungen behagen nach 1.300Km des Gehens nicht besonders.
Dafür ersparte ich mir die Aufstiege zu den besonderden Sehenswürdigkeiten, wie der übergroßen Marienstatue. Überall wäre zu zahlen gewesen. Ich spare nicht an mir und gebe dann das Geld aus für touristische Besichtigungen. Ich bin sowieso auf Pilgerreise und nicht auf Besichtigungsreise. Dafür habe ich ein kleines kostenfreies Museum in einer ehemaligen Kapelle besichtigt, die eine wunderschöne Kasettendecke mit Gemälden von Marias Himmelfahrt hat.
Vom kulinarischen Angebot lasse ich mich auch nicht verlocken. Erstens müsste ich bis 1/2 8 herumbummeln und warten und die Preise sind nicht gerade pilgerfreundlich - ein Restaurant bot das Menü um 65,- Euro an.
In einer Bäckerei kaufte ich mir ein sehr wohlschmeckendes Schinken- und ein Gemüsetarte, welche ich mir im Hotelzimmer in der Mikro wärmte. Ein gutes Bier dazu und ich war zufrieden und konnte beim Essen die Füße hochlagern und mich vom Fernseher berieseln lassen - zuerst eine Nachrichtensendung und dann eine gigantisch schöne BBC-Sendung über Eisbären.
Die Meteo-Sendungen verhießen leider für heute und die nächsten Tage für ganz Frankreich nichts Gutes.

Der Morgen präsentiert sich auch mit dickem, dunkelgrauen Himmel, aber es ist (noch) trocken und bis 13h bleibt es auch so. Zwischenzeitlich ist es sogar ein wenig freundlich.
Gleich beim Einschwenken in den JW sehe ich vor mir zwei jüngere Frauen zügig den Weg hochsteigen. Es geht heute 650m hoch und sie werden auch noch langsamer werden. Jetzt sind sie ja noch frisch.
Ich gehe meinen Schritt, der sich bewährt hat und ich bin guter Dinge - mental und körperlich passt alles.
Ich bin wieder unterwegs und schon beim vorletzten Abschnitt. Das Alleingehen und die positive Stimmung bringen mich auf folgende Gedanken.

Ich bin wieder unterwegs, auf dem Weg zu dir, oh Herr.
Ich bin wieder unterwegs, gestärkt durch deine Kraft, oh Herr.
Ich bin wieder unterwegs, geführt durch deine Hand, oh Herr.
Ich bin wieder unterwegs, geleitet durch deinen Geist, oh Herr.
Ich bin wieder unterwegs, behütet durch deinen Segen, oh Herr.
Ich bin wieder unterwegs, mit offenen Glauben an dich, oh Herr.
Ich bin wieder unterwegs, begleitet vom des Hl. Jakobus, heute am Weg und jeden Tag meines Lebens.

Nicht lange gehe ich und ich hole die zwei Damen bei einer Rast ein. Es sind zwei Schweizerinnen, die sich auf der Herfahrt kennen gelernt haben und nun gemeinsam gehen. Eine hat schon etwas Pilgererfahrung und die zweite ist recht unbedarft in den JW eingetreten und so war sie auch unterwegs. Keine Stöcke, dabei hat sie Angst vor Hunden, der Rucksack prall gefüllt und die Wasserflasche in der Hand tragend, ist sie unterwegs. Gegen meine Reisebegleitung hätten sie nichts, es wäre kurzweiliger und interessant. Nur ich will alleine gehen und wenn es nur darum geht, dass ich mir jeden Schritt am Weg selbst aussuchen kann und ich suche die ebensten Stellen quer über den Weg. Bei einer alten romanischen Kapelle, die dem Hl. Rochus geweiht ist (er wird auch als Pilger dargestellt), kann ich sie ziehen lassen und später überhole ich sie auf einem kurzen und steilen Bergabstück.

Die interessanteste Begegnung, war die eines Belgiers. Er war auf dem Rückweg von SdC !!! Seit 2. Februar ist er unterwegs und schläft immer im Zelt. Er beklagt auch den Pilgertourismus auf der Strecke. Bis zu 60 Leute seien ihm jetzt begegnet. Das zeigt, welches G'riß es um die Schlafplätze gibt.

Zwei Pilgertourismusbegegnungen der netten Art hatte ich heute auch.
Zuerst eine französische Großfamilie mit 6 Kindern und 6 Erwachsenen, die mir noch auf deutsch "gute Reise" nachriefen. Das finde ich nett.
Und dann noch ein junges, französisches Ehepaar, wo sie etwas deutsch kann, mit 5 Kindern! Das jüngste sitzt noch im Traggestell und die älteste ist maximal 11 Jahre alt. Die Frau trägt einen großen Tagesrucksack und das restliche Gepäck wird von einer Organisation von Quartier zu Quartier gebracht. Sie gehen täglich etwa 10 Km, eine stolze Leistung für die Kinder und auch die Erwachsenen. Vorallem wenn ich an den heutigen Abstieg denke - siehe weiter hinten.

Eine weitere Begegnung war mit einer Niederländerin, die offen heraus sagte, dass sie nichts mit dem Glauben am Hut hat und sie den Weg geht, weil sie ihren eigenen Glauben hat.
Ja, das alles trifft man hier am JW und noch eine Reihe anderer "Pilger" sind unterwegs. In den Orten oder bei Pausen sieht man sie dann.

Am Weg, wenn ich einmal alleine bin, kann ich dann meinen Gedanken nachhängen (heute leider viel zu wenig). Im ersten Teil des Weges sind wieder viele Steine am Weg, nur jetzt sind es braunrote poröse Lavasteine. Wenn die Steine zu Sand zerstoßen sind, sieht es aus wie auf einem Tennisplatz.
Eine sehr schöne romanische Kirche wurde auch aus diesem roten Lavastein gebaut. Und fast alle Häuser sind mit den Steinen der Umgebung erbaut. Als Zaunersatz dienen feste Steinmauern oder lose aufgeschichtete Steinwälle.
Ich weiß nicht, wer Frankreich den Namen "Frankreich" gegeben hat. "Steinreich" wäre ein passender Name für dieses Land gewesen :-)
Und diese Steine hatten es heute noch in sich.

Bis zum höchsten Punkt des heutigen Tages, auf 1.206m, also 650Hm, so etwa wenn man von Leoben auf die Präbichlpasshöhe geht, war das Marschieren für mich kein Problem. Der Aufstieg war stetig und nicht außergewöhnlich fordernd. Auch der Abstieg bis zum ersten Ort war noch passabel und auch das Wetter hielt durch. In diesem Ort konnte ich endlich eine kleine Pause einlegen und eine Labung zu mir nehmen. Davor war leider immer Ruhetag.
Beim Wiederlosgehen fing es leider an zu regnen und ich suchte fürs Erste Schutz. Es sah eher aus, dass der Regen bald vorbei wäre. Einige Pilger zogen während meiner Regenrast vorbei und nach fast einer halben Stunde beschloss ich mit Regenschutz weiter zu gehen. Es regnete gerade nicht soviel und ich musste/wollte weiter - siehe Bettnachfrage und jeder der an mir vorbei geht ist ein Konkurrent! So blöd sich das für einen Pilgerweg anhört, es ist aber so.

Und dann kam es stark. Vor diesem Wegabschnitt wird auch im Führer gewarnt und man kann ihn nur großräumig auf der Straße umgehen. Nur diese Entscheidung hätte ich schon am VM treffen müssen und da regnete es noch nicht.
Es sind 350m äusserst steil bergab zu bezwingen. Im ersten Teil geht es über erdige, steile und durch den Regen extrem rutschige Wege nach unten. Mariazellgeher kennen das vom Kastenriegel. Einmal musste ich im Abrutschen einen Baum umarmen, denn sonst wäre es bergab mit mir gegangen. Dann wird aus dem Erdweg ein Felsenweg. Rundgeschliffene Felsen mit großen Abstiegen machten den Abstieg auch nicht leichter. Sie waren genau so rutschig wie der Erdboden, nur griffen hier die Stockeinsätze nicht. Gut, dass ich einen sicheren Tritt habe und einen guten Beschützer habe, aber das war sehr anstrengend, weil man zu 100% konzentriert aufsteigen muss und immer gefasst sein muss, dass man wegrutscht, was bei der Hangneigung gefährlich ist.
Im dritten und letzten Abschnitt wechselte dann der "Bodenbelag" auf lose Geröllhalden mit bis zu kopfgroßen und scharfkantigen Basaltsteinen. Für diese Basaltformationen und -säulen hat man im Führer ein eigenes Kapitel vorgesehen - man möge sie beachten. Man möge mich einen Banausen nennen, aber für diese Gesteinsformationen und noch weniger für diese Steinbrocken, habe ich heute keinen Gedanken verschwendet, eher habe ich sie, wer weis wohin verwünscht.
Es hat sich ordentlich eingeregnet und die Hose ist klitschnass. Da sieht man ca. 100m unter sich den kleinen Ort Monistrol-d'Allier in einer Schlucht liegen und ich sehe Pilger mit ihren roten Regenpelerinen ins Gasthaus strömen (5-6 Personen). Super, wenn ich Pech habe, dann ist es hier voll und ich muss als waschelnasser in eine Herberge gehen, wenn noch etwas frei ist. Ich beschleunige meinen Schritt trotz des schlechten Weges und es dauert aber noch, bis ich im Ort eintreffe, weil der Weg einen großen Umweg macht.
Endlich, nach 32Km, bin ich am Ziel und bekomme doch noch ein Zimmer, das letzte wie ich später bemerke (und das um 15h). Wie früh soll ich noch aufstehen und wie schnell soll ich noch gehen? So macht pilgern gar keinen Spaß.
Zu guter Letzt muss ich, nass wie ich bin, noch eine Stunde im Gastzimmer warten, bis mein Zimmer fertig ist. Zum Glück kann ich die nassen Schuhe ausziehen und gleich mit Papier ausstopfen, damit sie trocknen.
Hier kann ich beobachten, wie andere Pilger im Regen weiter geschickt werden. Sie tun mir leid.

Nun sitze ich bequem in meinem Bett, ich habe sogar eine kleine Wohnung, die E-Heizung läuft auf Hochtouren und die gewaschene Wäsche wird morgen wieder trocken sein. Nun warte ich aufs Abendessen, dann passt wieder alles. Der heutige Tag und seine Beschwernisse sind Vergangenheit. Was hätte ich Euch auch sonst schreiben können? Ach richtig, die Lanschaft ist toll, wenn es nicht regnet!
Und morgen geht der Kampf weiter und ich hoffe es wird besser.

Aus dem steinigen und mühsamen Frankreich unter vielen Pilgern grüßt Euch,
Euer Pilger Walter

2 Kommentare:

  1. Lieber Walter, wir hoffen sehr für dich, dass der "Pilgertourismus" doch etwas nachlassen möge und dass du nicht täglich um ein ansprechendes und preisgünstiges Quartier "kämpfen" musst. Aber auch, dass dir wieder genügend Freiraum für deine Gedanken bleiben wird. Der heutige Tag klang ja ganz schön gefährlich, Gott sei Dank und mit Hilfe des Hl. Jakobus hast du es unfallfrei gemeistert. Wir hoffen sehr für dich, dass die nächsten Abschnitte wieder angenehmer zu gehen sein werden und dass endlich auch wieder das Wetter entsprechend mitspielt. Unsere Gedanken sind bei dir! Alles Gute und denk an deinen Spruch vor vielen, vielen Tagen und Kilometern "Es geht wenn man geht". In diesem Sinne liebe Grüsse Ingrid und Werner

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  2. Lieber Walter,
    Es ist sehr interessant, über deine Erfahrungen als Pilger zu lesen - und bewundernswert, dass du es nach so langen Märschen noch schaffst, deine Reiseberichte zu schreiben.
    Alles Gute und viele liebe Grüße,
    Uli Pauer

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