Samstag, 23. Juli 2011

Harter Tag mit gutem Ende

Hallo, Ihr Jakobspilgerfreunde!
Der heutige Tag gehörte zu den schwierigsten Tagen meines Pilgerweges. Von der Kraft und mental gesehen. Aber davon später.

Meine Erlebnisse mit dem gestrigen Hotel muss ich Euch unbedingt noch vorher schreiben, auch wenn Ihr vom Essen in Frankreich nichts mehr hören wollt, das gehört berichtet. Wie ich gestern geschrieben habe, kostete mich die HP nur 30,- Euro und das Zimmer ist voll in Ordnung.
Ich komme abends in den Speisesaal und fühle mich momentan um 25 Jahre gealtert, so hoch war der Altersdurchschnitt der Gäste, nur Frauen. Das Hotel ist vermutlich eine Urlaubsunterkunft für Senioren, so wie es in der Oststeiermark oft der Fall ist, wenn die Wiener Senioren für Wochen billig Urlaub machen wollen. Jede Frau hatte ihren angestammten Platz und für mich gab es Platz 1,5m vor dem 120cm großen Fernseher. Die anderen Gäste, also die Seniorinnen, waren fast nicht bemerkbar - brav und leise nahmen sie ihr Essen ein.
Für mich gab es ein eigenes Pilgermenü - 5-gängig und von der Menge hätten 3 Pilger satt werden können. Eine große Schüssel Kürbiscremesuppe, als Vorspeise eine Salatschüssel mit Majonaisesalat aus Wurst, Käse, Kartoffel, Gemüse usw. und darauf zur Garnierung verschiedene Wurst- und Schinkenscheiben und ein Stück Schafskäse. Da stellte sich schon ein erstes Sättigungsgefühl ein und die Schüssel war trotzdem nicht leergegessen. Als Hauptspeise gab es ein dickes gratiniertes Fischfilet mit frittierten Kartoffelknöderln, Nudeln und Gemüse. Außer dem Fisch, ging mehr als die Hälfte wieder zurück. Ohne Fromage geht in Frankreich nichts, nur hätte es kein ganzes Käsegeschäft sein müssen. Auf dem Brett lagen 15 (in Worten: fünfzehn) Sorten Käse - so cirka 1,5 Kilo. Ich konnte nur mehr naschen davon. Und damit der Magen sicher bis ganz oben voll ist, wurde noch ein Eis gebracht. Da war das inkludierte 1/4 Rotwein fast zu wenig zum Hinunterschwemmen. Ich habe mich bemüht, dieser Gastlichkeit zu folgen, aber was zu viel ist, ist zu viel. Zum Schluss konnte ich nur mehr japsen - "un Cognac s'il vous plait". Wie ein Hängebauchschwein bin ich dann die Stiegen hochgekrochen und habe mich bewegungsunfähig aufs Bett fallen lassen.
Ich sage Euch, da ist nichts aufgeschnitten oder gelogen, denn das müsste ich wieder büßen und ich weiß was büßen heißt.
In diesem Hotel, werde ich dann gut schlafen, so dachte ich. Die Damen sind ab 1/2 9h alle brav nach oben gegangen und wie es dem Alter entspricht, wird bald alles ruhig sein - auch das dachte ich.
Wie ich mit meinem Mahl fertig war und nach oben ging, hörte ich aus jedem Zimmer, bei der Leichtbauweise der französischen Häuser sind Wände nur Sichtschutz, aber kein Schallschutz, die Fernseher mit den verschiedenen Programmen röhren. Sofern vorhanden, wurden die Höhrgeräte zwecks Schonung abgeschalten - ich kenne dies von zu Hause. Solange sich der Lautstärkeregler noch nach rechts drehen läßt, ist ein Höhrgerät ein unnützes Gerät. Diese Geräuschkulisse nahm ich noch recht gelassen hin und um 22h probierte ich einzuschlafen, was bei dem eher gleichmäßigen Lärmpegel auch fast gelungen wäre.
Aber dann! Die bevorzugten Sendungen waren zu Ende und da wollten es die alten Leute aber wissen.
Was nun folgte, war einer klassischen Theaterkomödie ähnlich. Es wurden laufend Türen geöffnet und lautem Knall geschlossen (jede Türe hatte einen schweren Türschließer montiert) und die "Golden Girls" palaverten in den Zimmern, am Gang oder von Zimmer zu Zimmer über den Gang und es gab viiiiel zu erzählen, schließlich hat sich an diesem Tag sicher viel ereignet in diesem Hotel - zum Beispiel der Frischfleischzuwachs meiner Wenigkeit. Natürlich wurde die ganze Diskussion ohne Hörgeräte geführt, nur die Zähne dürften nicht im Glas deponiert gewesen sein, denn die Aussprache war deutlich zu verstehen - jedes Wort, wenn man französisch könnte. Ich war erstmals froh, diese Sprache nicht zu verstehen.
So ging das ohne Ende dahin. Ausdauer beim Palavern musste man ihnen zugestehen und dazwischen immer wieder das laute Öffnen und Schließen der Zimmertüren.
Nach 23h klopfte ich einmal an die Wand meiner Nachbarinnen, die praktisch direkt neben meinem Kopf sich viel zu erzählen hatten. Es war dann auch schlagartig ruhig, aber nur in diesem Zimmer. Bei den anderen war noch volles und lautes Diskutieren angesagt. Kein Schlaf für einen Pilger!
Um 23:30 ging ich, nur mit meiner Turnhose bekleidet auf den Gang und sah den Seniorenklub in ihren langen Nachthemden am Gang stehen oder schnell im Zimmer verschwinden. Mit aller Freudlichkeit entbot ich den lustigen Witwen, ein deutliches "bonne nuit, madames!" und wirklich es wirkte, im Seniorenhotel kehrte Ruhe ein und gegen Mitternacht dürfte Euer Pilger Walter seinen Erhohlungsschlaf gefunden haben - zwei Stunden später als geplant und notwendig.

Heute beim Frühstück um 7Uhr trödelte ich und treue Leser meiner Berichte können sich denken warum? Richtig, es regnete. Ein wenig wollte ich zuwarten, aber dann gab ich mir einen Stoß und brach doch auf. Er regnete nicht sehr stark und gut eingepackt ging ich gottergeben los. Den ersten Ärger des Tages durfte ich schon im Ort "genießen". So dumme Markierungen ließ mich auf dem ersten Kilometer ein paarmal ratlos stehen und das im Regen. "Wohin soll ich mich wenden, ..." heißt es in einem Kirchenlied. Und so ging es heute einige Male. So schlecht oder besser, so dumm, wie in dieser Region, war die Beschilderung in Frankreich noch nie. Bei dieser Beschilderung war nicht die geistige Intelligenz Frankreichs am Werk.
Wisst Ihr, wie nervend es ist, bei einer Wegkreuzung zu stehen und keine oder eine unklare Wegmarkierung zu sehen. Wo und wie soll ich weitergehen und es regnet ... Oft sind die Markierungen so gut versteckt, wie für einen Orientierungslauf. Und bei jeder Wegkeuzung stehen zu bleiben und 360° rundherum zu schauen, da bräuchte ich einen Eulenhals, aber meine Halswirbelsäule kracht bei jeder Bewegung. Dazu ist man mit Rucksack und Regenschutz zusätzlich bewegungs- und sichteingeschränkt. Versucht einmal mit schweren Rucksack gebückt steil nach oben zu gehen und den Kopf hoch zuhalten um etwaige Markierungen zu finden. Der Ärger kriecht hoch, denn ich weiß, es ginge auch besser.

Die Wege waren heute meistens auch wieder grauslich zum Gehen. Es war erstens nass und dann wieder einmal so grobsteinig. Ich musste sehr aufpassen um nicht auszurutschen. Es war oft kein Marschieren, sondern ein Stolpern und Taumeln. Meine schmerzenden Füße wurden heute sehr geplagt. So war heute auch die Motivation eher unten. Es gab am Weg auch nichts, was einen Anreiz für die Augen oder den Geist gab und so wurde es ein stumpfes Hinaufgehen oder besser gesagt Hinaufkämpfen und das ohne Pause, weil sich nichts anbot, Rast zu machen. Zum Glück hatte der Regen nach ca. 2 Stunden aufgehört.
Das ist nicht mein Tag heute, so meine Gedanken.

Endlich sind die 500Hm Anstieg über die steinigen Wege überwunden und oben angelangt bot sich ein gandioser Blick. Am höchsten Punkt des Abschnittes Genf - Le Puy, sieht man endlos weit in die Gegend in der man in der nächsten Zeit unterwegs sein wird. Toll sind die vielen Bergkegel, die einmal Vulkankrater gewesen sein mussten.
An eine Steinmauer gelehnt, verzerre ich mein karges Mittagsmahl - zwei Müsliriegel. Alternativen gibt es nicht.
Aber die Aussicht, auch auf besseres Wetter und der kleine Energieschub hoben gleich die Stimmung fürs Weitergehen. Aber nicht lange hielt die positive Stimmung, wieder und wieder gab es unklare Wegstellen oder ich musste mich wieder zurück suchen.

Dann kam ein folgenreicher Fehler. Im Wissen, dass im geplanten Ziel Saint-Julien-Chapteuil keine attraktive Quartiersituation auf mich wartete, wollte ich eine Alternative einschlagen. Schon über einige KM gab es am Weg Aushänge einer interessanten Gite, abseits des Weges. Zusätzlich wäre dann der Weg morgen nach Le Puy kürzer und die Zeit könnte ich dort nutzen. Ich entscheide mich den JW zu verlassen und den 8Km langen, recht gut beschilderten Weg zu beschreiten und diese Entscheidung musste ich schwer büßen. Dieser Weg ging oft durch ungangbare Kuhweidensümpfe und durch nasses und loses Geröll. Ich kann mich gar nicht mehr ärgern, es war ja meine Entscheidung und Jakobus hatte da gerade ein Mittagsschläfchen gehalten.

Auf diesem Weg wäre ich zweimal fast von Hunden angefallen worden. Jedesmal waren es zwei aggressive Köter, die ich nur mit schnell schwingenden Stöcken von mir fernhalten konnte. Beim zweiten Angriff kamen sie bis an die Stocklänge heran und ein Hund spürte dann auch den kräftigen Hieb auf den Kopf. Er zog sich jaulend zurück und dann war auch die Angriffslust des zweiten Hundes gebremst und ich konnte flüchten.

Die 8Km wollten bei den schlechten Wegen kaum vergehen, aber endlich wurde aus dem Weg wieder Straßen und auch Häuser kamen in Sicht. Da motivierte ich mich selbst wieder und wie es so ist, kommt auch ein Licht von irgendwo.
Einer Frau begegnete ich und sie lud mich auf einen Kaffee in Ihr Haus und zu ihrer Familie ein. Ich trinke schon Jahren keinen Kaffee mehr, aber das Angebot nahm ich gerne an, zusätzlich begann es wieder einmal zu regnen.
Die Familie, Ehepaar mit drei Kindern zwischen 25 und 35 Jahren, nahm mich wie einen Freund auf und alle waren sehr an meinem JW interessiert. Auf Englisch konnten wir uns recht gut unterhalten, vorallem mit den jungen Leuten. Der schwarze Espresso und die liebe Diskussion aktivierten meine Lebensgeister und ich war wieder der alte Pilger Walter. Gelabt mit Wasser und reifen Marillen konnte ich nach dem Regenschauer weiterziehen. Danke Jakobus für diese Familie als Geschenk am Weg, als ich es notwendig hatte. Nun waren es nur mehr 2Km bis zur Gite und der Weg war gut. Nicht gut war dann das Eintreffen bei der Herberge. Obwohl es in der abgelegenen Gite 12 Plätze gab, war nichts mehr frei. Eine ganze Gruppe hat alles in Beschlag genommen. Was nun? Umsonst war der weite und beschwerliche Umweg und wo kriege ich jetzt eine Unterkunft her? Muss ich doch dorhin marschieren, wo ich ausweichen wollte? Das hätte ich einfacher haben können.
Aber die Gite-Besitzer waren sehr hilfreich. Bei einem Glas Rotwein telefonierten sie herum und fanden auch etwas abgelegen ein kleines Chambres d'hotes. Für den 3Km langen Weg bekam ich noch einen handgezeichneten Plan mit genauester Erklärung (auf französisch) mit. Während des Aufenthaltes in der überdachten Gartenlaube ging ein heftiger Regenguss nieder und wie der vorbei war, war auch alles klar wohin ich zu gehen hatte.

Den Rest des heutigen Weges ging ich schon wieder mit Optimismus weiter - einfach nicht zurück, sondern nach vorschauen. Das ist sowieso mein Motto.
Nach 32Km, statt der Etappenlänge von 26 Km, kam ich nach einem schweren Tag (auch mental) endlich bei meinen älteren Quartiergebern an. Hier bekomme ich auch etwas zu essen, aber erst um 1/2 8. Ich bat um zwei Schnitten Brot und um 2 kleine und verdiente Bier. Dann führt mich die Frau in mein einfaches Zimmer und ich höre eine bekannte Stimme aus dem anderen Zimmer. Peter der Missionar ist auch hier. Wir fallen uns in die Arme und tauschen Erfahrungen aus. Am Montag wird er in Le Puy von seiner Mutter Geld bekommen und einige seiner Sorgen los werden. Er will sich den Weg bis SdC erkämpfen. Um wieviel leichter habe ich es da. Es geht mir doch gut, trotz der Wegprobleme.
Das Bier und die Brotschnitten essen wir gemeinsam.

So hat ein harter Tag, doch sein gutes Ende.
Euer Pilger Walter

1 Kommentar:

  1. Lieber Pilger Walter, nach dieser für dich sehr schwierigen Etappe können wir nur deine Worte wiederholen, die uns sehr gefallen haben: mit Optimismus weitergehen - einfach nicht zurück, sondern nach vorne schauen! Auch auf diesem schwierigen Stück hast du wieder eine nette Familie gefunden, die auch du mit deinen interessanten Erlebnissen über deinen JW erfreut hast. Auch, dass du den Missionar getroffen hast war möglicherweise ein Wink vom Hl. Jakobus. Wir wünschen ihm viel Kraft und Gottes Segen, dass er gut nach SdC kommen wird. Wir hoffen mit dir, dass die morgige Etappe besser wird als jene von heute, stein- und gebelllos... Möglicherweise ist dir aber auch das viele Essen, das du am Vortag wieder geniessen konntest, noch im Magen gelegen oder zumindest an Gewicht.
    Übrigens hat uns der Hl. Jakobus heute abend anstelle starken Regens "nur" Nieselregen während der ganzen tollen Vorstellung vom Phantom der Oper zukommen lassen - besser als Regenguss... Vorstellung war übrigens ganz toll. Lieber Walter, wir wünschen dir für die nächsten Tage alles Gute, angenehme Wege mit den richtigen Markierungen. Ganz liebe Grüsse von Deinen Freunden Ingrid und Werner

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