Samstag, 16. Juli 2011

Ein Erlebnistag

Liebe Freunde.

Mein Quartier heute Nacht war bestens. Wunderbar war der gepflegte große Garten und die Familie war sehr gastfreundlich. Hier fühlte ich mich richtig wohl.
Das Abendessen war mit der Familie und es gab grünen Salat, frisch aus dem Garten mit selbstgemachter feiner Senfdressing und frischem Baguette als Vorspeise. Danach kam gegrilltes Schwein, gekochte Erdäpfel mit Butter und frischen Fisolen auf den Teller. Ein gekühlter Rosewein (es wurden 3 Gläser) mundeten Eurem Pilger ganz besonders gut. Als Nachspeise gab es eine frisch gebackene Rhabarbertorte mit Mandelsplittern. Von der nahm ich gerne noch einen kleinen Nachschlag.
Das "petit-dejeuner" (Frühstück) war erstmals in Frankreich nicht "petit" sondern ausreichend. Bezahlt habe ich dafür 36,- Euro.

Ein schöner, aber kühler Morgen erwartete mich zum Weitergehen. Beim Hinauswandern aus Le Pin treffe ich auf einer Weide auf zwei Pferde. Eines steht mit dem Kopf zu mir am Zaun und das andere verkehrt mit dem verlängerten Rücken. Das erste begrüßt mich mit einem lauten Wieherer. Ich grüße ähnlich und höflich zurück, da läßt das andere Pferd, mit der, dem Kopf gegenüberliegenden und mir zugewendeten Seite laut und unmissverständlich erkennen, was es von mir hält.
Na, freundlich war das nicht zu Gästen und Pilgern, die hier ihr Geld lassen. Aber es gibt immer solche und solche Menschen und Pferde.
Ich ignoriere diese Unfreundlichkeit und erfreue mich am schönen Morgen. Die Sonne überzieht die Landschaft in ein goldenes Licht und und die grünen Wiesen, reifen Felder und dichten Wälder glänzen wunderschön. Ich liebe so einen Morgen und so in den Tag zu maschieren.

Am Ortsende erwartet mich wieder einmal ein steiler "Weg" mit Steinschutt. Da kommt mir die Erkenntnis, dass sind gar keine Wege, sondern Ablagestellen für die Steine, die die Bauern aus den Wiesen und Feldern sammeln. Diese Theorie bestätigt eine Zeit später eine Wiese mit kleinen Steinhäufchen, die dann, genauso wie Straßenbetonschutt und Ziegelschutt auf die "Wege" gekippt werden.
Und dann der weiterführende Gedanke: Für die Pilger, die Buße tun müssen/sollen/wollen, wird der JW einfach darüber geführt. Danke, mir reicht es. Für die, die in Genf erst mit dem Pilgern begonnen haben und noch sündig sind, ist der Weg richtig. Aber für Langzeitpilger mit tausendfach abgebüßten Sünden sollte es weiche Wald- und Wiesenwege geben.

Für den unchristlichen Aufstieg entschädigt dann ein schöner Waldweg mit guter Aussicht. Und später geht es durch richtige Ginsterwälder mit Sträuchern bis zu 3m hoch. Hier muss es im Frühling wunderbar zum Gehen sein. Ich stelle mir den Duft vor und es kommen Erinnerung an einen Korsika-Urlaub auf.

Ich wandere dann durch eine schöne Landschaft - links ein großes reifes Weizenfeld, begrenzt von grünen Hügeln und rechts eine Weidefläche mit Almcharakter. Es folgt ein großer Garten mit einer Schar glücklicher Freilandhühnern und dann ging es an Feldern weiter.

Unzählige Hunde wollen mich heute fast zerreissen, wenn die meisten nicht eingesperrt oder angehängt gewesen wären.
Einmal höre ich die Hunde in Dolby Digital 5.1 - links und rechts, vorne und hinten von den Gärten kommt ein wütendes Gekläff, vor mir steht bei einem Haus ein Hund auf der Straße und bellt wie aus dem Center-Lautsprecher und dann ist noch der tiefe Bass einer 1,20 hohen Dogge zu hören, wo ich eben erst vorbei gegangen bin. Das ist Dog-Hausen pur.

Dann kommt wieder einmal eine extreme Fußmassagestelle a la Extrem-Fußzonenreflexmassage (Jakobiinsider wissen, wie und was ich meine). Im Führer wird das Teilstück wie folgt beschrieben: "Nach dem Bauernhof geht es sehr steil und steinig nach oben". Von wegen steinig? Kann mir jemand die höchste Steigerungsform von "steinig" nennen? Das ist kein Weg, sondern ein unbegehbarer Steinschutthaufen bestehend aus großen und losen Murnockerln.
Und wieder die Belohnung oben am Hügel. Ein grandioser Blick auf die Ebene Plaine de Brievre. Solche Ausblicke sind aber schwer verdient.
Bei einem Bauernhof mit einer großen Kuh- und Kalbhaltung, gibt es auch ein fast parkähnliches Gehege für Damwild und dazwischen watschelt, sehr komisch anzusehen, eine große Herde Enten. Mir kommen Visionen von gebratenen Entenbrüsten hoch - mmmhh!

Zur Abwechslung und weil mir das Singen in der Natur immer mehr Freude macht, suche ich mir aus meinem Liederbuch ein paar bekannte Lieder/Melodien aus und stoße auf folgendes Lied, welches für meinen Pilgerweg einen sehr passenden Text hat:

Laß die kleinen Dinge
1) Es gibt ein Wort, und das ist für dich das Leben.
Es gibt ein Licht, das die Sonne überstrahlt.
Du hast ein Ziel, welches Gott für dich gegeben.
Wenn er dich ruft, mußt du gehen, vielleicht schon bald.
Ref.) |: Laß die kleinen Dinge, nimm die Zeit.
Einmal ist es auch für dich so weit. :|
2) Ein jeder Tag ist ein neues Abenteuer,
und oft vergißt man die Liebe und das Ziel.
Doch wenn die Nacht kommt,
dann brennt für dich ein Feuer,
der Gnade Licht,
das den Weg dir zeigen will.
Ref.

Einmal noch werden meine Gourmetnerven am Wegrand angeregt. Ich sehe eine große Ziegenherde und denke an leckeren Käse, den es hier in Frankreich reichlich gibt.
Da meldet sich sogleich mein Magen und fordert Nachschub an Essen. Ich schaffe es grade noch in das Dorf La Frette und bekomme in einer Boulangerie (Bäckerei) ein leckeres Sandwich und ein köstliches "Pain au chocolad" (ein mit Schokolade gefüllte Art Croissant).
Verzeiht, wenn ich soviel übers Essen schreibe, nur das Gehen macht hungrig. Berechnet einmal den Energiebedarf eines Pilgers. Eine Stunde kräftiges Marschieren verbraucht sicher 400 bis 500 KCal und ich bin täglich 6 bis 8 Stunden auf den Beinen.

Heute ist mir das Marschieren wieder leicht gefallen, ausser bei den erwähnten Schlechtwegestrecken, und es ist die Zeit wie im Flug vergangen.
In meinem Ziel La Cote-Saint-Andre, einer größeren Stadt (5.000 Ew) und der Geburtsstadt von Hector Berlioz, sind die Hotels anscheinend gut gefüllt. Im gesuchten Hotel braucht der Wirt eine Viertelstunde bis er mir das Ok für ein DZ geben kann und ich ziehe glücklich ein. Breit ist das Zimmer um 40cm mehr, als die Betten lang sind. Ich komme mit dem Rucksack fast nicht durch.
Ich bin gerade beim Wäschewaschen, als es klopft. Das Zimmermädchen steht mit einem anderen Pilger vor der Türe und fragt ob ich mit ihm das Zimmer teilen will. Nicht erfreut, stimme ich aber doch zu und handle dafür den Preis herunter.
Thomas, ich habe in der Kirche davor seinen Eintrag gelesen, kommt aus St. Gallen (SZ) und ist genau so lange wie ich unterwegs und möchte auch bis SdC gehen, nur viel langsamer. Er ist alleine und hat sich eine Auszeit gegeben - Beruf und Wohnung hat er aufgegeben!

So liebe Freunde, es ist wieder ein laaanger Bericht geworden, wie ich es an meinen nun verkrampften Fingern spüre.
Ich grüße Euch alle
Euer Pilger Walter

PS: Liebe Freunde, was ist los? Heute kann ich mich an keinem Kommentar erfreuen und aufbauen. Euer Pilger Walter kennt kein WE und braucht jeden Tag eine Anfeuerung. Ich hoffe Ihr seid (meiner Berichte) nicht müde geworden.

1 Kommentar:

  1. Hallo!

    Nach der kargen und teuren Schweiz bist du jetzt in einem kullinarischen Schlaraffenland gelandet. Da rinnt einem Zuhause so richtig das Wasser im Mund zusammen, aber du verdienst es nach den Anstrengungen am Jakobsweg und den ganzen Prüfungen wie Steinen, Hunden, Pferden und seltsamen Wirten.
    Trink aber trotzdem ein gutes Achterl französischen Rotwein für mich mit!

    Leibe Grüße und alles Gute
    Peter

    PS: Die anderen Jakobspilger sind auf der Graualm angekommen, sie überquerten den Hochschwab bei dichten Nebel und trafen statt Hunden auf Steinböcke! Morgen gehts nach Mariazell weiter!

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