Schon in der Nacht wurde ich vom Geklepper der Balkontüre geweckt. Der Wind rüttelte daran und das Regengeprassel war nicht zu überhören.
Noch in den Morgenstunden, im Bett liegend, hörte ich das Rauschen der Autoräder auf der Straße. Na fein, wie löse ich das Problem? Zuwarten ob sich die Wetterlage bessert, wäre eine Möglichkeit. Wenn es stark regnet, mit dem Bus nach Yenne fahren, überlege ich. Oder das Wetter gottgegeben hinnehmen und gehen.
Die optimale Lösung bot sich dann von selbst an. Beim Aufstehen hat es zum Regnen aufgehört. Fein, dann will ich bald aufbrechen und nach dem Frühstück ging ich los.
Nach einem KM war der Friede vorbei und es begann wieder zu regnen. Also alles wasserdicht machen und weitergehen duch die Rhoneauen und entlang des Dammes viele KM weit. Der Regen war lästig, aber doch auszuhalten. Wenn man das Unvermeidliche akzepiert, dann ist es nicht mehr schlimm. Es wurde ein leidlich gutes Gehen und weitergehen war die einzige Möglichkeit, denn Schutz und Unterstand gab es hier nicht.
Der Regen wurde stärker und stärker. Jetzt war das Gehen stumpfes Dahinmarschieren und die Nässe kroch von den Hosenbeinen höher. Da war endlich ein gesperrter Kiosk mit großem Vordach und Sesseln zu sehen. Diesen Unterstand nahm ich dankend an. So wie ich war, mit Regenschutz und Rucksack setzte ich mich hin. Unter dem Pocho blieb es sogar warm und meine schnelltrocknende Hose wurde gleich wieder angenehmer. Und am Weg schüttete es nun sogar. Ich musste an nachkommende Pilger, so wie den Missionar (siehe später) denken, die derzeit schutzlos sein mussten.
Mehr als eine Stunde suchte ich dort Schutz, bis es fast wieder zum Regnen aufhörte und hell wurde. Ich ging wieder los und konnte Regenschutz und die unteren Hosenteile abnehmen, denn es sah nach einen schönen Tag aus.
Die Strecke bis Chanaz war dann auch gut zu gehen. Chanaz ist Rhone-Urlaubern vielleicht ein Begriff. Es ist ein richtiger Fremdenverkehrsort zum Rhone befahren und um zu Urlauben. Auch die Wasserverbindung zum großen See Luc du Bourget macht ihn zum Ferienort.
In Chanaz kann ich mir in einer Bäckerei eine einfache Jause und etwas zum Trinken kaufen und im Park kurze Mittagrast halten. Die Reihe von schmucken und teuren Restaurants entlang des Kanals, habe ich ignoriert.
Leider hat das Wetter nicht das gehalten, was es zuerst versprochen hatte. Ein paar Minuten nach dem Weggehen begann es wieder zu regnen und ich bin wieder im schutzlosen Gebiet unterwegs. Es regnet sich richtig stark ein und die Nässe kriecht die Hose hoch - da kommt Freude hoch. Das ist Pilgern ohne Kompromisse. Endlich, nach einer Dreiviertelstunde ein schmutziger Schuppen, in den ich mich verkriechen kann. Kaum habe ich den Schutzmantel, der auch innen schon nass war, und den Rucksack abgelegt, da lichtete es auf und 15 Minuten später war ich bei nur leichtem Regen wieder unterwegs - der Wegweiser zeigte noch 3 1/2 Stunden bis Yenne.
Lang war es nicht besser, kaum begannen Savoyens Weingärten wurde es wieder schlimm. In einem kleinen Ort suchte ich wieder in einem Schuppen Schutz und jetzt um 14h sitze ich da und warte, aber es scheint jetzt hoffnungslos zu sein.
Um 14:30 breche ich bei leichtem Regen auf, denn der Weg muss erst noch bewältigt werden und es würde fast 18h werden, bis ich ankomme. Nur ein paar hundert Meter und ich suche schon wieder Unterschlupf. Ein paar Minuten warten und ich kann weitergehen. Nun hört es doch zum Regnen auf, auch wenn der Himmel dunkel bleibt.
Die Landschaft mit den Weingärten wäre reizvoll, nur viele Blicke habe ich dafür nicht übrig, zu schnell ist nun mein Schritt, damit ich weiterkomme. Dabei heißt es aufpassen auf hunderte Pfützen und schlammige Erdstellen damit ich nicht ausrutsche.
Vor dem letzten Anstieg, vor dem im Führer sogar gewarnt wird, dass er bei Nässe rutschig ist, sehe ich die nächste Tafel: Yenne 2:20! Dann schaue ich auf mein Handy-Navi und das zeigt über die Bundesstraße 6 Km an, das wären bei gutem Gehen nur etwas mehr als eine Stunde. Das mache ich. Ich muss zwar aufpassen auf die Autos, aber es ist kein großer Verkehr. Nach ca. 3 Km sehe ich wieder die Jakobsmuschel. Ich habe die Bergetappe abgekürzt. Leider lass ich mich verleiten, nun den doch etwas längeren JW wieder einzuschlagen und lande zuerst zwischen Maifeldern in überschwemmten Feldwegen und muss dann den Auenweg entlang der Rhone gehen. An der Straße wäre ich schneller gewesen. Zu allen Überdruss begann es doch wieder zu regnen und zum vermutlich zehnten Mal zog ich heute den Regenschutz über. Dann kam ich vor Yenne zum Campingplatz und dort werden auch Zeltunterkünfte angeboten. Nein, nicht mit mir und bei dem Wetter.
Gleich beim Beginn von Yenne ist das empfohlene Hotel und ich bekomme seit langem eines der besten Zimmer. HP kostet 48,- Euro und heute weiß ich ein gutes Zimmer zu schätzen. Dreckig, nass und die Schuhe innen feucht, da brauche ich heute eine trockene Atmosphäre und muss nach 30Km meine Füße hochlagern. Morgen geht es gleich zu Beginn 650 Hm hoch!
Eine Begegnung und ein Erlebnis hat mich heute zutiefst erschüttert und ich wollte zuerst gar keinen Bericht schreiben. Aber nach langem Nachdenken und Zwiesprachehalten, meine ich doch, dass das ein Teil des JW, meines JW ist.
Ich berichtete schon von dem Missionar, den ich bei der ersten Herberge in Frankreich getroffen habe. Ich habe ihn als eine Art Sonderling gesehen, was er vielleicht auch ist, nur wenn man seine Umstände nicht kennt. Ich wusste von seinem spatanischen Leben und dass er deshalb oft schon im Freien schlief und mit sehr wenig Geld nach SdC gehen will. Seine verschlossene Art und sein fast verwildetes Aussehen trugen vielleicht auch zu einer Fehleinschätzung bei.
Heute am Morgen, gleich nachdem es zum Regnen begann, sah ich seine Silhouette weit vor mir gehen und als er eine kurze Rast hielt, schloss ich zu ihm auf. Ich merkte gleich, dass es ihm nicht gut geht und fragte ob ich ihm helfen könne. Nein, es gehe schon und er berichtete, dass er nur an kein Geld komme, erstens hätte er keines und auch kein Konto und hier in Frankreich, wäre es für ihn schwierig an Geld zu kommen. Er wüsste nicht wie und spricht kein Wort französisch. Dann in Spanien, diese Sprache kann er, da könnte er sich von irgendwo Geld überweisen lassen. Jetzt müsse er schauen, dass er mit 5 Euro am Tag (!!!) durchkomme. Das ist unmöglich, so mein Gedanke. Ob er heute schon gegessen habe - er esse gerade seine letzten 5 Kekse! Ich war erschüttert und dachte an die "gescheiten" Weisheiten, die ich in meinen Berichten schon abgegeben habe und wusste, nun muss ich auch so handeln. Ich habe ihm geholfen und ein erhaltenes Geschenk auf meinem JW wieder weiter gegeben. Ich sah seine Augen und schnell entbot ich im meinen Pilgergruß und noch schneller musste ich gehen. In sicherer Entfernung konnte ich meinen tiefen Emotionen freien Lauf geben. Ich wusste, wenn es gewollt ist, dann treffen wir uns wieder und können reden.
Bei der ersten Regenpause sah ich seine hagere Gestalt im strömenden Regen daherkommen und er suchte auch Schutz bei dem Kiosk. Der beste und trockenste Platz war an meinem Tisch und wortlos saßen wir hier ein paar Minuten.
"Ich bin Walter und wie heißt du?"
"Peter"
"Wie mein jüngerer Sohn!"
"Peter werden heute wenige getauft"
Und so kam langsam ein Gespäch in Gang. Er begann zu erzählen.
Er war 13 Jahre in einer christlichen Mission in Ecuator, mitten im Dschungel tätig, mit allem was man sich da vorstellen kann. Er macht das als Aufgabe und Bezahlung gibt es wenig, es war auch nicht nötig.
Nun ist vor geraumer Zeit sein Vater verstorben und er wusste seine alte Mutter alleine zu Hause - in Deutschland. Seit einiger Zeit war er mit sich uneins, was er tun soll. Die Misson war sein Leben, aber die Mutter wollte er nicht allein lassen.
Da hat ihm der geistliche Chef der Mission, die am Bodensee ihren Sitz hat, angeboten sich für ein Jahr karenzieren zu lassen und mit sich und seiner Angelegenheit ins Klare zu kommen. Mit der Empfehlung, auch den JW zu gehen, was schon einige Missionsmitarbeiter gemacht haben. Dafür hat er sogar etwas Geld bekommen.
Nach einem längeren Besuch bei seiner Mutter, hat er sich dann vom Bodensee mit geborgter Ausrüstung (mit dem Rucksack war sein Vater schon am JW) auf den JW gemacht und hat gleich die Erfahrung der teuren, für ihn extrem teuren Schweiz, gemacht.
Er finde sich hier in Europa gar nicht mehr zurecht und das finanzielle Problem belaste ihn sehr. Er würde zwar von der Mission weiteres Geld bekommen, wenn er nicht auskommt, aber wie soll er das machen und ohne Konto und Sprachkenntnisse. So versuche er sich mit nichts durchzukämpfen.
Wir sprachen über Möglichkeiten und wie sein Weg und sein Leben weitergehen könnte. Nachdem sein Rückflug erst im November gebucht ist, könnte er sich mehr Zeit lassen. Er könnte stunden-/tageweise Arbeit, z.B. als Erntearbeiter annehmen, um so Quartier und Essen und vielleicht ein paar Euro zu bekommen. Das wäre eine Möglichkeit, die ihm als gelernter Gärtner gut passen würde. Er wird es probieren. "Je cherche travail!" kann ich ihm noch helfen (ob es richtig ist, weiß ich mit meinen geringen Französischkenntnissen auch nicht).
Für seine Zukunft braucht er eine Arbeit, wenn er nicht wieder in die Mission geht. Nur was? Unterwegs hat er gelesen, dass in der Schweiz dringend Senner gesucht werden, die sogar sehr gut bezahlt werden.
So haben wir (hauptsächlich er) über vieles gesprochen und ich hatte das Gefühl, dass es ihm etwas besser geht. Vorallem weil er mit jemanden sprechen konnte, der auch im Geiste Jakobus unterwegs ist. Der Pilgertourismus mache ihm schwer zu schaffen.
Wie es aufgehört hat zu regnen, wollte er noch sitzenbleiben und alleine gehen - er gehe den Weg auch aus religösen Gründen und suche auch sich und Gott am Weg. So ging ich alleine weiter und sehr nachdenklich und innerlich aufgewühlt. Ich glaube heute bin ich erst am Jakobsweg angekommen.
Ich bitte keine Kommentare auf diesen Bericht abzugeben. Der 2.Teil ist nur geschrieben, um aufzuzeigen, was alles am JW passieren kann.
Euer Pilger Walter
Ps: Es regnet wieder, aber ich sitze im Trockenen
Lieber Pilger Walter,
AntwortenLöschenwir gratulieren dir ganz herzlich zu deinen ersten 1000km (wir haben erst heute wieder deine berichte nachgelesen) und wünschen dir in Frankreich alles Gute und vor allem nicht so beschwerliche Wege wie gleich zu Beginn. Aber es war ja auch in der Schweiz zu Beginn nicht ganz gut und ist dann immer besser geworden - hoffen wir`s für dich! Wir befürchten fast, dass dies erst ein kleiner Vorgeschmack auf den Pilger-Tourismus ist auf das, was dich u.U. in Spanien erwarten wird. Da werden vermutlich auch noch die Busreisen verstärkt dazukommen. Aber du wirst sicherlich auch noch sehr viele "echte" Pilger auf deinen Weg treffen, mit denen du dich entsprechend austauschen kannst - so wie mit Erich (den wir herzlich grüssen - wir nehmen an, er wird deine Berichte "aufsaugen" - alles Gute Erich und danke, dass auch du dem Walter vieles gegeben hast). Wir hoffen sehr, das sich das Wetter wieder verbessert und du mal bei "ordentlichem Pilgerwetter" weitermaschieren kannst - ohne Hitze und ohne Regen, einfach den Weg geniessen! Toi-toi-toi dafür. Lieber Walter - alles Gute für die nächste Etappe und ganz liebe Grüsse - deine Freunde Ingrid und Werner