Samstag, 2. Juli 2011

Immer wieder, aufi und nieder

Liebe Pilgerfreunde, die Ihr bequem im Sofa sitzt und meine Pilgerreise lesend verfolgt.
Ich sitze jetzt auf der sonnigen Veranda vor meinem Zimmer in Merlingen (halbe Seelänge des Thuner Sees). Während ich diesen Bericht schreibe, schweift mein Blick immer wieder auf den See hinunter, wo der Segelboote und Surfer den Wind für ihr Aufkreuzen nutzen. Dahinter sind mächtige Bergstöcke des Berner Oberlandes zu sehen. Jetzt, hier am heutigen Etappenziels geht es mir gut, auch wenn die Füße noch gut spürbar sind. Mein Abendbrot habe ich mir wie gestern selbst besorgt. Es waren auch nur Brötchen und Bier notwendig. Das Dazu, einen Block besten Bündnerfleisches, habe ich von Monica und Alex bekommen und so genieße ich diese Köstlichkeit, fein geschnitten mit einem Schweizer Messer (was sonst).

Was hat der heutige Tag so gebracht?
Ein prachtvoller Tag kündigte sich an, mit gutem Wanderwetter. Schön, trocken und immer ein wenig Wind, der kühlt. Ich marschiere los und die vielen schönen See- und Häusermotive zum Fotografieren, stockt das Weggehen. Ich muss mich besinnen, dass ich nicht auf Urlaub bin und noch mehr als 30Km Pilgerweg vor mir habe. An der Seepromenade entlang wird mein Schritt wieder ausgreifend. Ich sehe meinen langen Schatten vor mir gehen und das freut mich. Er zeigt mir die Richtung, die Richtung nach Westen zum Ziel. Was für ein schöner Tag zum Gehen und zum Schauen.
Da erwartet einem eine wunderschöne Seenwanderung entlang des Brienzer Sees (ca. 18Km lang) und des noch längeren Thuner Sees. Und wie kommt es dann wirklich? Der Weg geht nach dem Ort vom See weg und wird zum ständigen Auf und Ab. Giftige Steigungen über 100-200Hm führen immer wieder von den Seen weg und hoch oben geht dann ein schöner einsamer oder aussichtsreicher Weg dahin. Bis bei der nächsten Ortschaft, sich der Weg wieder ins Tal windet. Entweder darf man dann an der Seepromenade "bummeln" bevor es wieder hoch geht oder es geht direkt bei der Abstiegsmündung gleich wieder hoch, ohne einen Meter eben. Das kann dann nerven, aber wenn man oben ist, ist das einsame Wandern dann viel schöner, als in den überfüllten Fremdenverkehrsorten.

Es geht heute durch viele schattige Wälder und zwischen den Bäumen blitzt immer wieder das Grün oder Türkis der Seen durch. Es sind schöne Erlebnisse, die mit Worten kaum zu beschreiben sind. Der Weg oberhalb der Seen ist aber auch durch schroffe Felsen und mächtige Einschnitte geprägt. Oberhalb des Brienzer Sees gibt es zum Überqeren von Schluchten zwei mächtige Stahlhängebrücken. Die erste und kleinere mit ca. 25m Länge hat einen Schwingungsfaktor von etwa einen halben Meter - ein lustiges Gefühl wenn man das mag. Die zweite Hängebrücke ist etwas massiver gebaut, sie wird aber 50m lang sein und führt über eine 80-100m tiefe Schlucht. Für Höhenängstliche ist das überqueren dieser Brücke sicher eine Herausforderung. Mein Pilgerbruder Erich, den ich später traf und mit dem ich eine Weile ging, meinte, dass er heute sein Ziel schon erreicht hatte. Das Ziel war, das Ende der Brücke zu erreichen.

Nach dem 3. Auf- und Abstieg war das Ende des Brienzer Sees erreicht und der weltbekannte Kurort Interlaken kündigte sich mit seinen Vororten an.
Interlaken liegt genau zwischen dem Brienzer See und dem Thuner See und wird von der Aare durchflossen (allen Rätselfreunden ein Begriff: Fluss in der Schweiz mit 4 Buchstaben). Die Bergwelt ist vom Eiger, Mönch und Jungfrau geprägt, die schneebedeckt ins Tal blicken. Es gibt hier über 60 Hotels mit 4500 Betten und dann noch 1000 Ferienwohnungen und 7 Campingplätze (Taudis ward Ihr hier schon?).
Ich glaube das sagt alles über Interlaken und dem entsprechend habe ich mich hier auch nicht aufgehalten, obwohl es Mittagszeit, Rastzeit und Essenszeit gewesen wäre.
Ich bin noch eine Stunde nach Neuhaus weiter gegangen und das zuerst durch eine Allee entlang der Aare und dann durch ein Naturschutzgebiet mit Schilf und vielen Brutplätzen. Das gesamte Gebiet wurde vorbildlich und informativ gestaltet. Viele Wanderer, Vogelbeobachter und Familien mit Kindern waren dort unterwegs. Und wieder muss ich es sagen, wie vorbildlich die Schweizer mit ihrer Natur und ihrem Müll umgehen. Aller Müll wird in Müllbehältern entsorgt. Kein einziges Papierl und keinen Zigarettenstummel findet man weggeworfen. Raucher bleiben bei den Müllbehältern stehen und entsorgen den Stummel dort. Bei uns dient oft die Straße als Deponie für die Autoaschenbecherentleerung.

In Neuhaus, ich war schon 5 Stunden fast unentwegt unterwegs, gönnte ich mir bei einem Bristro eines Campingplatzes eine Rast und ein Mittagessen. Eine Pizza um 9,- CHF, das geht. Die letzen 10 Tages-Km am Thunersee entlang waren ähnlich dem Vormittag, nur dass die hochliegende Straße und der Weg den Küstenfelsen abgerungen wurden. Ein Stück habe ich den Weg verloren, vielleicht habe ich zu begeistert zum See hinab geschaut, und ich bin ein Stück am Gehsteig der Straße gegangen, die dort durch einige kurze Tunnels musste. Und dort, zwischen den Tunnels, gab es aber die besten Fotomotive, wie es senkrecht zum türkisblauen See hinunter geht.
Etwas ist mir auf der heutigen Etappe abgegangen. Es gab kein einziges Wegkreuz, kein Bildstock und keine Kapelle. Vielleicht liegt es daran, dass das hier reformiertes Gebiet ist.

In Merlingen habe ich ein Gasthaus mit erträglichen Zimmerpreisen gefunden. Mein, zugegeben, sehr kleines und einfaches Zimmer, kostet "nur" 57,- CHF.
Es ist wie eine kleine Klause und hat Pilgerstatus. Über den Rest des heutigen Tages, bitte beim Anfang des Berichtes weiterlesen.

Und so wünscht Euch Pilger Walter einen schönen Samstagabend und einen erholsamen Sonntag

1 Kommentar:

  1. Lieber Walter,
    schön, dass du den heutigen Tag auf einer sonnigen Terasse mit einer guten Jause und einem Bier abschliessen konntest. Nach der heutigen Erzählung ist unsere Freude auf deine(n) Fotoabend(e) wieder gestiegen. Aber vor allem freut es uns für dich, dass du für die oft sehr beschwerlichen Wege mit wunderschöner Aussicht bei herrlichem Wetter belohnt wirst. Super! Du hast übrigens kürzlich erwähnt, dass du die Schweizer Flugstaffel (fast) hautnah miterlebt hast - die haben für die Airpower in Zeltweg trainiert und ihre Show mussten sich dort rund 300.000 Leute teilen - du hast eine Solovorstellung von ihnen erhalten!! Für morgen wieder eine so schöne Pilgerwanderung wie heute - wir werden beim Gösser Kirchweihfest ein (sehr) gutes Glas Wein auf dein Wohl und deine Gesundheit trinken! Liebe Grüsse Ingrid und Werner
    PS: liebe Grüsse auch von den Kornfelds, sie waren heute kurz bei uns auf ihrem Weg nach Kärnten. Auch sie verfolgen mit Spannung deine Reise.

    AntwortenLöschen